(Neu: Habeck, Aussagen Pressekonferenz)
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CO2-Ausstoß 48 Prozent niedriger als 1990
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Boom von Solar- und Wind-Energie drückt Kohle aus dem Markt
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Industrie stößt trotz Wirtschaftsflaute mehr CO2 als 2023 aus
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Kaum Fortschritt beim Klimaschutz im Verkehr |
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Agora fordert PKW-Maut |
Berlin, 07. Jan (Reuters) - Deutschland kommt beim |
Klimaschutz vor allem dank des Ausbaus von Wind- und |
Solarenergie schneller voran als erwartet. Der |
Treibhausgas-Ausstoß habe 2024 wenig mehr als die Hälfte vom |
Referenzjahr 1990 betragen, teilte die Denkfabrik "Agora |
Energiewende" am Dienstagmorgen mit. Das Klimaziel für das Jahr |
wurde erreicht: Mit 656 Millionen Tonnen seien gegenüber 2023 |
drei Prozent weniger Klimagase in die Luft geblasen worden. Der |
Rückgang gegenüber 1990 habe damit 48 Prozent betragen. Dennoch |
zeigte sich die Agora mit Blick auf das entscheidende Ziel 2030 |
skeptisch, ob auch dieses mit den bestehenden Instrumenten |
erreicht wird. |
"Im Stromsektor zeigen die Klimaschutzmaßnahmen der letzten Jahre immer stärker ihre Wirkung", sagte Agora-Chef Simon Müller. Die Rekordproduktion mit Wind oder Sonne habe 2024 rund 55 Prozent des Stromverbrauchs gedeckt. Im Gegenzug habe die Kohleverstromung ein historisches Tief erreicht. Geholfen habe auch die milde Witterung. Die Wirtschaftsschwäche habe zudem Emissionen der Industrie gedämpft. In den Problembereichen Verkehr und Gebäude tat sich dagegen wenig. Die europäischen Vorgaben wurden hier erneut verfehlt.
Klimaschutzminister Robert Habeck wertete die Zahlen als Erfolg: "Beim Klimaschutz sind wir auf Kurs, die harte Arbeit lohnt sich", sagte der Grünen-Politiker. "Jetzt gilt es: Kurs halten, keine Rückwärtsrolle, sondern Verlässlichkeit und Planungssicherheit für Wirtschaft und Verbraucher." Der klimafreundlichere Strom müsse aber günstiger werden, damit er in allen Sektoren stärker genutzt werde.
Deutschland muss bis 2030 insgesamt seine Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 zurückschrauben. Das Klimaschutzgesetz sieht bis dahin jährlich eine Höchstgrenze des CO2-Ausstoßes vor, die 2024 um 36 Millionen Tonnen oder gut fünf Prozent unterboten wurde. Nach dem von der Ampel reformierten Klimaschutzgesetz gelten für einzelne Sektoren keine Höchstgrenzen mehr.
Das Gesetz legt aber auch einen Schwerpunkt auf das Jahr 2030 und die Perspektive dorthin. Hier zeigte sich Agora-Chef Müller skeptischer: Um das Ziel zu erreichen müssten die jährlichen Einsparungen fast doppelt so hoch ausfallen wie jetzt im Jahr 2024. Die von der Ampel-Regierung ins Auge gefassten Nachbesserungen seien nicht mehr umgesetzt worden: "Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Deutschland auf Kurs ist, dass 2030 Ziel zu erreichen."
Zu diesem Schluss war schon 2024 der Expertenrat für Klimafragen gekommen, der laut Klimagesetz die Zahlen prüfen muss. Sie hatten daher - trotz Erreichen des Ziels 2023 - ein Verfehlen attestiert. Wiederholt sich diese Bewertung im Frühjahr muss die Regierung dem Gesetz zufolge neue Klimainstrumente auf den Weg bringen.
Allein die Energiewirtschaft, der wichtigste Sektor, hat aufgrund des Booms erneuerbarer Energien rund neun Prozent an Klimagasen eingespart. Ein Rekordzubau von Solarenergie und mehr Windkraft drängte klimaschädlichen Kohlestrom zurück. 16 Prozent der installierten Kohlekraftwerks-Leistung konnten so 2024 stillgelegt werden.
Von der Windenergie wird vor allem in den nächsten Jahren noch ein großer Beitrag erwartet, da die Zahl der Genehmigungen 2024 stark gestiegen ist und die Windparks jetzt gebaut werden. Geholfen hat allerdings auch, dass Deutschland mehr Strom importierte, also nicht selbst erzeugen muss. Er kam laut Agora zur Hälfte aus Erneuerbaren und zu einem Viertel aus Atomkraft.
Der Industriesektor stieß dagegen sogar zwei Prozent mehr aus - obwohl die Wirtschaft insgesamt weniger produzierte. Laut Agora ein Alarmzeichen, dass der Klimaschutz etwa mit Hilfe von Wasserstoff dort stärker in Schwung kommen müsse. Nur so könnten die Emissionen im Sektor bei einem Aufschwung moderat gehalten werden.
Auch Gebäude und Verkehr konnten erneut ihre Emissionen nicht nennenswert senken. Beim Heizen half die milde Witterung etwas, dem Verkehr die Wirtschaftsschwäche mit weniger Lkw-Verkehr. Echte Fortschritte habe die Investitionsschwäche verhindert, beklagte Agora-Chef Müller. Es gebe eine Verunsicherung in Unternehmen und Haushalten, etwa durch die Debatte über das Heizungsgesetz. So sei der Absatz von Wärmepumpen um 44 Prozent und die Neuzulassungen von E-Autos um 26 Prozent zurückgegangen. Da die Obergrenzen für diese Sektoren festgelegt wurden, muss Deutschland in den nächsten Jahren hierfür Verschmutzungsrechte von anderen Staaten kaufen. Laut Agora kommen so milliardenschwere Kosten auf Deutschland zu.
Müller forderte eine am CO2-Ausstoß orientierte Reform von Steuern, Abgaben und Subventionen rund um das Auto: Dazu gehöre die Dienstwagenbesteuerung und eine verursachergerechte PKW-Maut.
(Bericht von: Markus Wacket; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)