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17.09.2024 /15:59:06
TOP-THEMA-Bund und Land setzten weiter auf Magdeburger Intel-Werk

(Neu: Haseloff-Reaktion, Analystenstimmen)

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Intel pausiert Projekte in Deutschland für etwa zwei Jahre



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Intel kündigt milliardenschwere Zusammenarbeit mit AWS an



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Ampel streitet über Verwendung nicht benötigter Subventionen



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AWS-Deal bietet Hoffnungsschimmer für Intel - Aktie steigt
 
- von Hakan Ersen
Frankfurt, 17. Sep (Reuters) - Wegen wirtschaftlicher
Probleme verschiebt der US-Halbleiterhersteller Intel <INTC.O>
den Bau seiner geplanten Chipfabrik in Magdeburg. Das Projekt
sei aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, betonte
Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag, der sich in der
kasachischen Hauptstadt Astana aufhielt. Ähnlich äußerte sich
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Das
Projekt sei strategisch so bedeutsam, dass nicht über einen
Abbruch spekuliert werden sollte. Das Unternehmen werde mit dem
Bund und seinem Land eine Arbeitsgruppe bilden, um in der
Zwischenzeit die notwendigen Vorarbeiten weiterzutreiben und
Genehmigungen einzuholen. "Nichts von dem, was wir bisher
gemacht haben, war umsonst."

Scholz betonte, Deutschland halte am geplanten Ausbau der Chip-Fertigung fest. Er verwies auf die jüngste Grundsteinlegung für ein Werk des weltgrößten Auftragsfertigers TSMC in Dresden. Dort erweitert außerdem Infineon <IFXGn.DE> sein Werk für fünf Milliarden Euro. In der Ampel-Koalition brach indes Streit aus, wie die zehn Milliarden Euro schweren Subventionen für die Magdeburger "Megafab" verwendet werden sollen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) forderte auf dem Kurzmitteilungsdienst X, die Gelder in den Bundeshaushalt zu stecken, in dem für 2025 ein zwölf Milliarden Euro großes Loch klafft. Für Intel waren Regierungskreisen zufolge in diesem Jahr vier Milliarden Euro reserviert. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Mittel dagegen im Klimafonds KTF halten. Aus diesem werden zahlreiche Klimaprojekte finanziert, die den Grünen besonders wichtig sind.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Jahr wurden dort 60 Milliarden Euro gestrichen. Seitdem ringt die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP noch härter ums Geld. Scholz warnte davor, voreilig über die weitere Verwendung der vorerst nicht benötigten Hilfen für Intel zu entscheiden.

VERBÄNDE - FÖRDERMITTEL FÜR CHIPINDUSTRIE ERHALTEN

Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI pochte auf weitere Investitionen in die Chip-Fertigung, um die Abhängigkeit von ausländischen Importen zu verringern. "Trotz des gegenwärtig schwierigen konjunkturellen Umfelds wird die Nachfrage nach Halbleitern weiter steigen", betonte Wolfgang Weber, der Vorsitzende des ZVEI-Vorstands.

Auch der Digitalverband Bitkom riet davon ab, mit den frei gewordenen Geldern Haushaltslöcher zu stopfen. "Die Fördermittel müssen gezielt in digitale Schlüsseltechnologien investiert werden", sagte Geschäftsführer Bernhard Rohleder. "Halbleiter sind die Basistechnologie der deutschen Wirtschaft, das gilt für die Anbieter von Telekommunikationsleistungen, Cloud Computing und Künstlicher Intelligenz ebenso wie für klassische Industriezweige wie den Automobil- oder Maschinenbau."

Ökonomen einiger Wirtschaftsinstitute brachten dagegen eine Steuerreform ins Gespräch. Dem Industriestandort sei viel mehr gedient, wenn sich die Standortfaktoren für alle Unternehmen inklusive kleiner und mittelständischer verbesserten, sagte Friedrich Heinemann, Finanzexperte des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der Nachrichtenagentur Reuters.

INTEL WILL SICH AUS DER KRISE SPAREN

Intel, einst weltgrößter Chip-Hersteller, hatte am Montag (Ortszeit) angekündigt, den Bau der "Megafab" um zwei Jahre zu verschieben. Zudem würden die Pläne für eine weitere Anlage im polnischen Breslau vorerst auf Eis gelegt, nachdem sich der Konzern vor einigen Monaten bereits von einem geplanten Werk in Italien vorerst verabschiedet hatte.

Die Verschiebung dieser prestigeträchtigen Projekte ist ein Rückschlag sowohl für die betroffenen Länder als auch für die Europäische Union (EU). Letztere war mit dem "Chips Act" angetreten, um den heimischen Weltmarktanteil an der Halbleiter-Produktion bis 2030 zu verdoppeln. Dieses Ziel scheine nun unerreichbar, sagte Frank Bösenberg, Geschäftsführer des Netzwerks Silicon Saxony.

Eigentlich wollte der kriselnde US-Konzern in Magdeburg 30 Milliarden Euro investieren und rund 3000 Arbeitsplätze schaffen. Der Produktionsbeginn für hochmoderne Chips war für etwa 2027 erwartet worden. Intel hat allerdings den Boom bei Künstlicher Intelligenz (KI) verschlafen. Dem Konzern fehlt es an konkurrenzfähigen Produkten für diese rechenintensiven Anwendungen. Gleichzeitig schwindet die Nachfrage nach klassischen Prozessoren. Während Erzrivale AMD <AMD.O> mit diversen Übernahmen zum Angriff auf den Weltmarktführer Nvidia <NVDA.O> bläst, muss Intel mehr als zehn Milliarden Dollar einsparen und jede sechste Stelle streichen.

Die Verschiebung der europäischen Projekte werde sich entlastend auf den Cash Flow auswirken, prognostizierte Finanzmarkt-Experte Russ Mould vom Brokerhaus AJ Bell. Dem Datenanbieter LSEG zufolge erwarten Experten für 2024 bislang einen Barmittel-Abfluss von gut 18 Milliarden Dollar, nach einem Minus von fast zwölf Milliarden Dollar im vergangenen Jahr.

Eine positive Nachricht konnte Intel-Chef Pat Gelsinger
am Montag dennoch verkünden: Sein Unternehmen werde gemeinsam
mit der Cloud-Tochter des Online-Händlers Amazon <AMZN.O>, Amazon
Web Services (AWS), KI-Chips entwickeln. AWS werde für
Design-Dienstleistungen und Fertigung zahlen. Der Deal werde
Intel bei der weiteren Kunden-Akquise sicher helfen, sagte
Analyst Angelo Zino vom Research-Haus CFRA. Das Unternehmen
könne sich dadurch besser als Anbieter maßgeschneiderter
KI-Chips verkaufen. Intel-Aktien stiegen zur Eröffnung der Wall
Street am Dienstag um mehr als drei Prozent.

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Kursentwicklung von Intel im Vergleich zu S&P 500und
US-Halbleiterindexhttps://tmsnrt.rs/47wPebK
Entwicklung von Intels Cash Flowhttps://reut.rs/4dTdfMf

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(unter Mitarbeit von Juby Babu, Max A. Cherney, Andreas Rinke, Rene Wagner und Christian Krämer. Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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