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Wirtschaftswiese: Politische Unsicherheit hemmt |
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Reformen nötig bei Rente, Energiepreisen, Fachkräften |
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Deutschland fällt im internationalen Vergleich zurück |
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Wachstumsprognose für 2025 mehr als halbiert |
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Vorschläge: Verkehrsfonds und Mindestausgaben für Bildung |
(neu: Pressekonferenz) |
- von Christian Krämer und Rene Wagner und Klaus Lauer |
Berlin, 13. Nov (Reuters) - Die nächste Bundesregierung |
muss nach Einschätzung der Wirtschaftsweisen unbedingt weniger |
streiten als die zerbrochene Ampel-Koalition. Politische |
Unsicherheit sei ein wichtiger Faktor für die Zurückhaltung von |
Unternehmen und Konsumenten. Sie bräuchten wieder |
Verlässlichkeit, sagte die Ökonomin Ulrike Malmendier am |
Mittwoch in Berlin. Monika Schnitzer, die Vorsitzende des |
Expertengremiums, ergänzte, die Regierung müsse vor allem die |
Rente stabilisieren, ohne Jüngere zu belasten. Zudem müssten die |
Energiepreise sinken und der Fachkräftemangel über Zuwanderung |
gelöst werden. Die Experten sprachen sich auch dafür aus, der |
Politik konkrete Vorgaben zu machen, damit zukunftsorientierte |
Ausgaben nicht mehr vernachlässigt werden. |
Schnitzer sagte, die deutsche Wirtschaft sei seit 2019 mit 0,1 Prozent nur minimal gewachsen. In den USA seien es im gleichen Zeitraum zwölf Prozent gewesen, im Euro-Raum vier Prozent. Deutschland falle entsprechend im internationalen Vergleich zurück. Es brauche dringend eine Modernisierung. Jetzt seien Kompromisse der nächsten Regierung nötig, die dann auch eingehalten würden. "Es wird ja nicht einfacher in der Zukunft." Das aus fünf Ökonomen bestehende Expertengremium, das die Regierung berät, kritisierte, dass die Politik Maßnahmen und Ausgaben vor allem derzeitigen Wählergruppen zuschiebe.
Im Verkehrsbereich wird ein Fonds vorgeschlagen, dem dauerhaft Einnahmen aus dem Kernhaushalt übertragen werden, etwa Mauterlöse für Lkw oder perspektivisch auch Pkw. Dies würde helfen, die nötigen Gelder für Schienen und Straßen zu haben. Dann brauche es noch eine Zweckbindung, damit Neubauten nicht zu oft den Vorrang vor Bestandssanierungen erhielten. Im Verteidigungsbereich könnte als Mindestvorgabe das Zwei-Prozent-Ziel der Nato die Orientierung sein. Die Partner des westlichen Verteidigungsbündnisses haben sich verpflichtet, gemessen an der Wirtschaftsleistung mindestens zwei Prozent in die Verteidigung zu stecken. Auch in der Bildung, besonders im frühkindlichen Bereich und in der Grundschule, bieten sich gesetzlich fixierte Mindestquoten an, so die Experten.
NEUWAHL MITTEN IN WIRTSCHAFTSKRISE |
Die Wachstumsprognose für das kommende Jahr wurde mehr |
als halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte nur um 0,4 Prozent |
steigen, während die Regierung mit 1,1 Prozent rechnet. Für das |
zu Ende gehende Jahr erwartet das Gremium sogar einen Rückgang |
der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent, nachdem zuvor noch ein |
Mini-Plus von 0,2 Prozent vorausgesagt worden waren. 2023 war |
Europas größte Volkswirtschaft schon um 0,3 Prozent geschrumpft. |
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, die Korrektur zeige, wie wichtig es gewesen wäre, alle Maßnahmen aus der Wachstumsinitiative der Ampel zur Stärkung des Standorts umzusetzen. "Wir müssen jetzt schauen, was noch möglich ist." Es seien alle aufgerufen, daran mitzuarbeiten. Ende Februar soll die vorgezogene Bundestagswahl stattfinden. Bis Weihnachten will die verbliebene rot-grüne Minderheitsregierung mit wechselnder Unterstützung von Union und FDP noch Gesetzesvorhaben im Bundestag beschließen. Ob dies gelingt, ist unklar.
Die Wirtschaftsweisen plädierten erneut für eine flexiblere Schuldenbremse. Nach der Einführung 2009 sei die Schuldenquote in Deutschland von über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung auf knapp 60 Prozent 2019 zurückgegangen. Die Regeln sind den Ökonomen zufolge also strenger als nötig. Sie schlagen zwei Änderungen vor. Erstens sollte es eine Übergangsphase nach Schocks wie der Corona-Pandemie geben, in denen die Regeln ausgesetzt wurden. In dieser Phase müsste das strukturelle Defizit zwar stetig reduziert werden, könnte aber noch über den normalen Werten liegen. Außerdem sollte es eine Staffelung in Abhängigkeit von der Schuldenquote geben. Je höher diese ausfällt, desto geringer sollte das zulässige strukturelle Defizit sein. Maximal sollte es ein Prozent der Wirtschaftsleistung sein, bei einer sehr hohen Schuldenquote aber wie bisher nur 0,35 Prozent. In die politische Diskussion war am Mittwoch Bewegung gekommen, weil Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine Reform der Schuldenbremse nicht mehr ausschließt.
Der angespannte Wohungsmarkt in Ballungsgebieten hemmt den Regierungsberatern zufolge den Zuzug von Arbeitskräften. Hier sollte das Angebot erhöht und der Bestand effizienter genutzt werden. Bauland auszuweisen und Hürden für die Nachverdichtung abzubauen könnte ebenso helfen wie Schritte zur Senkung der Baukosten. Um den Zugang zu angemessenem Wohnraum für einkommensschwache und benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu verbessern, sollten sich die Politik zum Wohngeld und zu Sozialwohnungen ergänzen.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Hans Busemann Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)