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10.01.2025 /12:07:01
ANALYSE-Trumps Schatten über dem Bundestagswahlkampf

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Äußerungen des designierten US-Präsidenten lösen Debatten aus



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Konfrontation oder Hoffnung auf "Deals"?

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Trump verändert Debatte über Wehretat und Ukraine

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BSW attackiert AFD wegen Musk-Unterstützung
 
- von Andreas Rinke
Berlin, 10. Jan (Reuters) - Wenn Donald Trump am 20.
Januar sein Amt als US-Präsident antritt, wird der
Bundestagswahlkampf noch einen ganzen Monat weiterlaufen. Schon
jetzt ist nach Einschätzung von Strategen mehrerer Parteien
erkennbar, dass der US-Republikaner die politischen Debatten in
Deutschland dann noch einmal massiv durcheinanderwirbeln wird -
auch bisherige Positionen könnten auf den Prüfstand kommen. "Nur
ist es schwer, sich darauf genau einzustellen, weil wir nicht
wissen, was er genau tun wird", heißt es etwa in der
Kanzlerpartei SPD. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte
am Mittwoch nur, man müsse sich darauf einstellen, dass Trump
"disruptiv" auftreten werde - also unvorhersehbar, provokativ
und mit großer Wucht.

Einen Vorgeschmack gab es Anfang der Woche, als Trump erneut Gebietsansprüche auf das zu Dänemark gehörende Grönland und den Panama-Kanal erhob und nicht einmal den Einsatz von Gewalt ausschloss. Am Mittwoch fühlte sich Bundeskanzler Olaf Scholz nach Absprache mit einigen EU-Regierungschefs genötigt, deswegen vor die Kameras zu treten. "Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land, egal ob es im Osten oder im Westen von uns liegt", mahnte er. Dabei hatte er zuvor noch nach zwei Telefonaten mit Trump eher Optimismus verbreitet, dass man mit dem US-Millionär doch reden könne. Aber nun stellt nicht nur Russlands Präsident Wladimir Putin, sondern auch der kommende US-Präsident Grenzen infrage - was innenpolitisch die Aufstellung im Bundestagswahlkampf durcheinanderwirbelt.

UKRAINE-KRIEG RÜCKT IN HINTERGRUND

Noch vor Weihnachten hatte es eine erbitterte Debatte darüber gegeben, ob Scholz den Ukraine-Krieg nutze, um im Wahlkampf zu punkten. Merz warf dem Kanzler Angstmache vor, weil der SPD-Politiker etwa die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine mit dem Hinweis auf eine Eskalationsgefahr untersagt. Linke, AfD und BSW kritisierten SPD, Grüne, Union und FDP dagegen als Kriegstreiber, weil sie der Ukraine weiterhin Waffen liefern wollen. Jetzt ist die Ukraine-Debatte völlig in den Hintergrund gerückt. CSU-Chef Markus Söder äußerte Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer Taurus-Lieferung. Der Grund ist die Erwartung, dass Trump auch die Ukraine-Politik der USA ändert und nach dem 20. Januar einen rigorosen Kurswechsel einleitet.

"Was dominiert, ist vor allem Unsicherheit, was kommen wird", meint ein hochrangiger SPD-Politiker. Denn sollte Trump sich entscheiden, die US-Militärhilfe einzustellen, hätten die Europäer und eben auch die nächste Bundesregierung ein Problem: Ohne die westliche Supermacht könnten sie die Militärhilfe nicht stemmen, zumal auch noch droht, dass Trump mit Putin über die Köpfe der Europäer und der Ukraine hinweg einen Waffenstillstand aushandeln könnte: Dann stellt sich die Frage, ob Waffenlieferungen drastisch ausgeweitet werden sollen - und wie dies finanziert werden sollte. Union und FDP, die bisher auf entschiedenere Hilfe für die Ukraine pochten, lehnen aber Ausnahmen von der Schuldenbremse oder eine Reform ab.

Erst in den nächsten Wochen entscheidet sich, ob die deutschen Spitzenpolitiker Trump öffentlich noch härter widersprechen werden - oder lieber auf die Hoffnung setzen, dass man mit dem künftigen US-Präsidenten doch vernünftige "Deals" schließen kann. "Das ist ungeklärt", heißt es auch in der Union als Erklärung für die vorsichtigen Äußerungen etwa von Merz.

DEBATTE UM RÜSTUNGSETAT

Nicht anders ist es bei der Debatte, ob Deutschland seine Ausgaben für Verteidigung weiter erhöhen sollte. Trump hatte von den Nato-Alliierten gefordert, auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung zu gehen - was im deutschen Haushalt statt der bisherigen rund 50 Milliarden Euro plus dem Sondervermögen Bundeswehr mehr als 200 Milliarden Euro jährlich bedeuten würde. Prompt wurde die Forderung sowohl von Scholz als auch von Merz zurückgewiesen. Man müsse es erst einmal schaffen, 2028 die zusätzlich nötigen 30 Milliarden Euro im Etat für die Sicherung des bisherigen Zwei-Prozent-Ziels der Nato aufzutreiben, wenn die Mittel aus dem Sondervermögen verbraucht sind, mahnen beide. Aber CSU-Chef Markus Söder sprach schon von einer nötigen Quote von drei Prozent, Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck will sogar 3,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Die Debatte könnte nach dem Amtsantritt von Trump weiter ins Rollen kommen.

PROBLEM AUCH FÜR DIE AFD

Trump bringt aber nicht nur Unsicherheit für die Parteien der politischen Mitte. Dass der umstrittene US-Milliardär Elon Musk als Besitzer der Plattform X und Trump-Berater nun zur Wahl der AfD aufruft und eine Stunde mit der Partei-Co-Vorsitzenden Alice Weidel diskutierte, beschert den Rechtspopulisten zwar Aufmerksamkeit. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Insa, Hermann Binkert, sagt Reuters, dass Musk der AfD damit das Image der "Unberührbaren" nehme. Aber gleichzeitig wittert das BSW als andere Partei am politischen Rand nun eine Chance, die Rechtspopulisten anzugreifen. "Jetzt hat also auch die AfD ihren US-Paten gefunden", schreibt BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht auf X, die damit gezielt die antiamerikanische Haltung auch vieler AfD-Anhänger vor allem in Ostdeutschland ansprechen will.

Klar scheint derzeit nur zu sein, dass die Bundesregierung nicht hochrangig bei der Amtseinführung von Trump vertreten sein wird. Erwartet wird, dass Trump eher Rechtsaußen-Politiker aus aller Welt um sich scharen könnte. In diesem Kreis wollen sich weder Kanzler Scholz noch Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen zeigen. Deshalb soll nur der deutsche Botschafter in Washington teilnehmen.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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