(Aktualisiert mit Äußerungen von Brantner und Banaszak)
*
Brantner und Banaszak treten gemeinsam an
*
Grüne stellen Rücktritt als Entscheidung des Führungs-Duos dar
*
Habeck unterstreicht Machtanspruch
*
Neue Parteivorsitzende könnten Signal für Schwarz-Grün senden
- von Holger Hansen |
Berlin, 27. Sep (Reuters) - Zwei Tage nach dem |
Paukenschlag an der Grünen-Spitze zeichnet sich die neue Führung |
ab. Am Freitag warfen mit Franziska Brantner und Felix Banaszak |
zwei politische Schwergewichte gemeinsam ihre Hüte für den |
Parteivorsitz in den Ring. Die bisherigen Amtsinhaber Ricarda |
Lang und Omid Nouripour hatten mit ihrem Rücktritt ihre eigenen |
Reihen überrascht. Gut sieben Wochen vor dem Bundesparteitag |
steht die in Bund und Ländern in Wahlen und Umfragen gebeutelte |
Partei vor einer schwierigen Aufgabe: Das Austarieren von |
innerparteilichen Machtverhältnissen in der sechsköpfigen |
Führung ist schon unter geringerem Zeitdruck kein leichtes |
Unterfangen. Hinzu kommt: Die Bundestagwahl 2025 wirft ihre |
Schatten voraus. Und noch dazu stehen in der zerstrittenen |
Ampel-Koalition bis zum Parteitag schwierige Entscheidungen an, |
die für zusätzlichen Streit sorgen und Fragen nach der |
Handlungsfähigkeit der Grünen aufwerfen. |
Es folgt ein Überblick über die wichtigsten Fragen:
Bei der Neuaufstellung des sechsköpfigen Bundesvorstandes spielen auch die beiden wichtigsten Strömungen eine Rolle - die Realpolitiker und die Linken. Sie wollen sich jeweils im Führungs-Duo vertreten sehen. Die Trennlinien wurden in den letzten Jahren aber aufgeweicht. Am Freitag gaben Brantner, Staatssekretärin bei Wirtschaftsminister Robert Habeck, und der Bundestagsabgeordnete Banaszak ihre Kandidatur für die Doppelspitze der Partei bekannt. Sie ist eine Drahtzieherin des Realoflügels, er einflussreicher Linker. Bei einem kurzen Presseauftritt unterstrich Brantner aber: Sie sei "sehr froh darüber, dass wir das gemeinsam machen können und eben nicht für einen Flügel antreten, sondern für diese Partei".
Brantner ist nicht nur enge Vertraute von Habeck, sondern kommt auch aus dem einflussreichen grün-schwarz regierten Baden-Württemberg. Banaszak hat als einstiger Parteichef in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2022 die Koalitionsverhandlungen mit der CDU zur Bildung der schwarz-grünen Landesregierung in Düsseldorf mitgestaltet. Brantner und Banaszak könnten somit auch ein Signal für eine mögliche Machtoption der Grünen nach der Bundestagswahl 2025 senden - eine Koalition mit der Union.
Banaszak verwies darauf, dass er den NRW-Landesvorsitz 2018 in schwierigen Zeiten übernommen und sich das Wahlergebnis der Grünen am Ende verdreifacht habe. "Ich konnte schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen führen, und sozusagen meine letzte Amtshandlung als Landesvorsitzender Nordrhein-Westfalen war, meine Unterschrift unter diesen Koalitionsvertrag zu setzen", sagte Banaszak vor der Presse. "Insofern glaube ich, bringe ich ein paar Dinge mit, die in den nächsten Monaten und vielleicht auch darüber hinaus gebraucht sein könnten."
Der Vizefraktionschef im Bundestag, Andreas Audretsch, gab zudem bekannt, dass er zusätzlich die Leitung der Kampagne zur Bundestagswahl übernehmen werde. Auch der Berliner Audretsch zählt zum linken Flügel und ist für Wirtschaft und Soziales zuständig. Beides sind Themen, bei denen die Grünen bei der Bundestagswahl punkten wollen.
Fristen für die Bewerbung zum Parteivorsitz gibt es nicht - rechtlich ist eine Bewerbung noch auf dem Parteitag möglich.
Vordergründig gaben die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie im Juni das Debakel bei der Europawahl den Ausschlag. Zuletzt brachen die Grünen auch in bundesweiten Umfragen auf zehn bis elf Prozent ein. Der Abwärtssog schien unaufhaltsam. Intern sahen sich allerdings weder Nouripour noch Lang mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, wie an vielen Stellen der Grünen versichert wird. Es sei die alleinige Entscheidung der beiden Co-Vorsitzenden gewesen, dass ein Neustart nur mit neuem Personal gelingen könne. Frustration über die Zusammenarbeit vor allem mit der FDP in der Ampel dürfte eine Rolle gespielt haben. Nouripour hatte seiner Resignation darüber am Tag nach der Brandenburg-Wahl freien Lauf gelassen.
Der Wirtschaftsminister ist der Wort- und Verhandlungsführer der Grünen in der Bundesregierung. Er will seine Partei als Spitzen- oder Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen. Nicht alle in der Partei sind glücklich mit dem Machtanspruch Habecks. Aber innerparteiliches Aufbegehren musste er nicht befürchten.
Damit das so bleibt, vermittelt Habeck den Eindruck, dass der Rücktritt des an der Basis beliebten Duos nicht auf seine Kappe gehe. Dieser Argwohn könnte naheliegen. Seit Wochen laufen hinter den Kulissen interne Absprachen für die Aufstellung zur Bundestagswahl. Habecks enge Vertraute Brantner kam als Wahlkampfchefin ins Gespräch, damit der Wahlkampf aus der Parteizentrale und Habecks Linie aus einem Guss sind.
Zudem geht es um die Inhalte, mit denen Habeck über die eigene Klientel hinaus punkten könnte. Diese müssen von der Partei mitgetragen werden. Habeck hatte bereits im August klargemacht, dass alle ihre Rolle kennen müssten, wenn er antrete: "Dann müssen alle ihre Laufwege kennen." Dazu gehöre auch die Bereitschaft, bisherige Positionen zu korrigieren.
Verglichen mit der Bundesregierung und den Fraktionen im Bundestag haben die Parteivorsitzenden wohl den geringsten Einfluss darauf, wie Entscheidungen ausgehen. Im Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP verhandeln sie mit, etwa wenn es um größere Konflikte geht - bis zum Parteitag wären das noch Lang und Nouripour. Aber Weichenstellungen werden in der Bundesregierung getroffen, und die Fraktionen können geltend machen, dass ohne ihre Stimmen kein Gesetz durch den Bundestag geht. Das Machtzentrum der Ampel-Koalition ist das Dreigespann aus Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Die wohl wichtigste bis zum Parteitag der Grünen anstehende Entscheidung ist der Bundeshaushalt 2025. In der Nacht vor dem Beginn des Parteitages soll der Haushaltsausschuss in der sogenannten Bereinigungssitzung letzte Hand an den Etat legen. Bis dahin muss noch eine Milliardenlücke geschlossen werden.
(Redigiert von Jörn Poltz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).
)