Karlsruhe, 08. Nov (Reuters) - Auf die Bundesregierung kommt möglicherweise ein weiteres milliardenschweres Haushaltsloch zu: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt am Dienstag darüber, ob der Solidaritätszuschlag noch erhoben werden darf. Die Ergänzungsabgabe auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer wurde 1995 unbefristet eingeführt und mit den Kosten der Wiedervereinigung begründet. Zum Jahresende 2019 lief der sogenannte Solidarpakt II aber aus. Trotzdem wurde die Ergänzungsabgabe 2020 noch erhoben. Das halten die Kläger für verfassungswidrig. Mit einem Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen.
Der Staat hat im vergangenen Jahr nach Angaben des Finanzministeriums mehr als zwölf Milliarden Euro durch den Solidaritätszuschlag eingenommen. Die Steuerabgabe kommt ausschließlich dem Bund zugute, der Betrag würde im Bundeshaushalt fehlen. Momentan erheben die Finanzämter den Solidaritätszuschlag unter Vorbehalt, weil vor dem Bundesverfassungsgericht das Verfahren läuft. Würde der Zweite Senat unter Vorsitz der Vizepräsidentin Doris König den Klägern Recht geben, müsste das Geld an die Steuerpflichtigen zurückgezahlt werden.
In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe wird es außerdem darum gehen, dass seit 2021 nur noch Besserverdienende mit der Sonderabgabe belastet werden. Nur wer eine Einkommensteuer von mindestens 18.100 Euro zahlt (Verheiratete 36 200), muss den Solidaritätszuschlag noch leisten. Das halten die Kläger für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Aufschlag beträgt 5,5 Prozent der Einkommensteuersumme. Auch auf die Körperschaftsteuer wird die Abgabe erhoben.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte sich in einem anderen Verfahren ebenfalls mit dem Solidaritätszuschlag zu befassen. Betroffene klagten gegen ihre Steuerbescheide, weil sie den Solidaritätszuschlag als unzulässig bewerteten. Das höchste Finanzgericht in München lehnte die Klage jedoch im Januar 2023 ab. Der Solidaritätszuschlag sei in seiner seit 2020 bestehenden Form "noch verfassungsgemäß", so der BFH damals.
(Bericht von Ursula Knapp und Christian Kraemer, redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)