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07.10.2024 /11:14:30
FOKUS 2-Industrie mit Auftragsminus - "Alles fühlt sich an wie eine Rezession"

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Bestellungen sinken im August unerwartet kräftig um 5,8 Prozent



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Stärkster Rückgang seit Januar



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Experte sieht Industrieschwäche als "klares Krisensignal"



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Stimmung im Einzelhandel und bei Verbrauchern trübt sich ein





(Mit Details, DIHK, Autobranche, Ifo und HDE)
Berlin, 07. Okt (Reuters) - Das Neugeschäft der
deutschen Industrie ist eingebrochen und verschärft die Krise
des wichtigen Wirtschaftssektors. Nach zwei Anstiegen in Folge
sanken die Bestellungen im August um 5,8 Prozent im Vergleich
zum Vormonat und damit so stark wie seit Januar nicht mehr, wie
das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Ökonomen hatten
nur mit einem Rückgang von 2,0 Prozent gerechnet. Allerdings
fiel das Auftragsplus vom Juli mit revidiert 3,9 Prozent höher
aus als anfangs mit 2,9 Prozent gemeldet. "Die Frühindikatoren
fallen, die Prognosen sinken, die schlechten Nachrichten reißen
nicht ab", sagte LBBW-Experte Jens-Oliver Niklasch. "Alles fühlt
sich an wie eine Rezession."

Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer bezeichnete die Daten als herbe Enttäuschung. Er rechne für das zweite Halbjahr beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) allenfalls mit einer Stagnation. "Von der ersehnten Konjunkturerholung ist weit und breit nichts zu sehen." Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) erklärte zu den Daten: "Das zerschlägt die Hoffnungen auf eine baldige Trendwende." Ohne Großaufträge lägen die Bestellungen der Industrie sogar auf dem niedrigsten Stand seit der Corona-Pandemie, betonte DIHK-Fachmann Jupp Zenzen.

Ohne diese Großaufträge wären die Bestellungen insgesamt nur um 3,4 Prozent gesunken. "Mit dem nun eingetretenen Rückgang sind aber die Hoffnungen darauf, dass die Bestellungen die Talsohle durchschritten haben könnten, wieder gesunken", erklärte das Bundeswirtschaftsministerium. Eine spürbare Erholung der Industriekonjunktur in der zweiten Jahreshälfte sei wenig wahrscheinlich.

INLANDSAUFTRÄGE BRECHEN FAST ELF PROZENT EIN

Das Auftragsminus unterstreiche die schwierige Situation der Industrie und sei ein klares Krisensignal, sagte der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts, Sebastian Dullien. "Die drei wesentlichen Schlüsselbereiche der deutschen Industrie sind alle massiv von der Schwächephase betroffen: Der Automobilbau, der Maschinenbau und die Chemie." Das IMK rechne derzeit für dieses Jahr mit einer Stagnation der Wirtschaft und 2025 mit 0,7 Prozent Wachstums. "Die sich derzeit verschärfende Lage in der Industrie bedeutet ein Abwärtsrisiko für diese ohnehin nicht optimistische Prognose." Wachstumsraten von mehr als einem Prozent, wie sie die Bundesregierung für 2025 wohl erwarte, seien nach aktuellem Datenstand unrealistisch.

Laut der "Süddeutsche Zeitung" will die Regierung ihre Konjunkturprognose für 2024 senken von einer Stagnation zu einem Schrumpfen um 0,2 Prozent. Im nächsten Jahr soll die Wirtschaft demnach um 1,1 Prozent zulegen und damit einen Tick mehr als bisher angenommen.

Die Aufträge aus dem Inland brachen im August um 10,9 Prozent ein. Die aus dem Ausland sanken um 2,2 Prozent. Dabei fiel das Neugeschäft mit den Euro-Ländern kräftig um 10,5 Prozent, während das mit dem Rest der Welt um 3,4 Prozent zulegte. "Auch aus dem Ausland gibt es keine großen Impulse", sagte DIHK-Konjunkturexperte Zenzen. Deutschland habe unter allen G7-Nationen den höchsten Exportanteil am BIP und sei dringend auf Aufträge aus dem Ausland angewiesen, erklärte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. "Bleiben diese aus, leidet die gesamte Wirtschaft."

AUCH AUTOBRANCHE UND EINZELHANDEL SPÜREN KRISENSTIMMUNG
Dies spürt auch die schwächelnde deutsche

Autoindustrie

, die im ersten Halbjahr ein Umsatzminus von 4,7 Prozent wegstecken musste. Die Branche (ohne Zulieferindustrie) erwirtschaftete laut Statistikamt rund 269,5 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2023 hatte es noch einen Rekordumsatz von nominal 282,6 Milliarden Euro gegeben - auch wegen gestiegener Preise. Der Erlösrückgang zog sich durch alle Bereiche der Autoindustrie.

Neben der Industrie kommt aber auch die inländische
Nachfrage kaum in Gang. So trübte sich das Ifo-Geschäftsklima im
Einzelhandel im September ein. Das Barometer sank auf minus 25,6
Punkte, nach minus 23,1 Zählern im August, wie das Münchner
Wirtschaftsforschungsinstitut mitteilte. "Verbraucherinnen und
Verbraucher sind verunsichert, was das wirtschaftspolitische
Umfeld angeht", sagte Ifo-Experte Patrick Höppner. "Das lässt
für das restliche Jahr 2024 keine dynamische Entwicklung bei den
privaten Konsumausgaben mehr erwarten." Zu einem ähnlichen Fazit
kommt der Handelsverband HDE. Denn sein

Konsumbarometer zur Verbraucherstimmung

sank im Oktober den vierten Monat in Folge.



(Bericht von Klaus Lauer,redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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