Nachricht


02.10.2024 /17:07:22
TOP-THEMA-Scholz und Habeck machen Wirtschaft neue Avancen

*

Wirtschaftsminister für Abbau aller Berichtspflichten

*

Kanzler will Netzentgelte deckeln und pocht auf Freihandel

*

Lindner bremst Idee

*

Vorzeichen des Wahlkampfes beim Ampel-Trio

*









(.)

- von Andreas Rinke und Holger Hansen
Berlin, 02. Okt (Reuters) - Rund ein Jahr vor der
Bundestagswahl haben Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler
Robert Habeck (Grüne) der Wirtschaft stärkere Unterstützung
zugesagt. Während der Wirtschaftsminister überraschend eine
völlige Abschaffung von Berichtspflichten für Firmen vorschlug,
versprach Scholz am Mittwoch in Berlin beim Bundesverband
Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA) Unterstützung
bei Stromkosten und in der Auseinandersetzung mit der
EU-Kommission. Beide betonten die Bedeutung des Wachstumspakets,
das die Ampel-Regierung jetzt Schritt für Schritt beschließe.

Sowohl Scholz als auch Habeck räumten ein, dass das Wachstum in Deutschland zu gering und die Bürokratielasten zu hoch seien. Beide führten die Probleme vor allem auf den russischen Angriff auf die Ukraine zurück. Man habe die daraus resultierenden Folgeprobleme "zu Dreiviertel" überwunden, sagte Habeck, der beklagte, dass sich das Land aber selbst schlecht rede. Man brauche ein "Momentum", um Deutschland aus dem Trübsinn zu holen. Dazu wären auch gemeinsame Vereinbarungen von Regierung und Opposition sinnvoll.

Der Auftritt der beiden mutmaßlichen Kanzlerkandidaten von SPD und Grünen und anschließend von Finanzminister Christian Lindner (FDP) beim BGA war auch geprägt von Wahlkampf-Elementen. So betonte Habeck, der nach Scholz sprach, dass die Forderung des Kanzlers nach einem schrittweisen Abbau von Berichtspflichten auf deutscher und EU-Ebene zwar richtig sei, aber nicht ausreiche.

Mit guten Intentionen sei man bei der Einführung von Berichtspflichten "völlig falsch abgebogen", sagte der Grünen-Politiker. Es reiche aber nicht, einzelne Schwellen abzusenken, sondern man müsse die "Kettensäge anwerfen." Er plädierte dafür, Berichtspflichten ganz abzuschaffen. "Ich glaube, da ist tatsächlich eine fundamentale Umkehr in der Logik notwendig, die am Ende darauf hinausläuft: klare Regelgesetzgebung, aber keine Berichtspflichten, sondern an Regeln halten und im Fall die Strafen dafür zu bezahlen", sagte Habeck. Wirtschaftsverbände kritisieren seit Langem, dass die Regulierungsauflagen auch durch die Ampel sie einschnüren.

Ohne Lindner beim Namen zu nennen, bezeichnete es der Grünen-Politiker zudem als Problem, dass sich die Politik der Bundesregierung nur um die Einhaltung des Haushalts drehe. Dabei seien sich eigentlich alle einig, dass mehr investiert werden müsse.

Lindner, der nach dem Duo sprach, scherzte, dass er ahne, was vor ihm gesagt worden sei. "'Ich habe alles im Griff. Ich habe einen Plan. Machen Sie sich keine Sorgen'", sagte er in Anspielung auf Scholz. "Und möglicherweise gab es auch andere, die gesagt haben, Deutschland steht kurz vor dem Abbruch. Wir sehen einen Absturz und es wird dann schwarz vor Augen", fügte er in Anspielung auf Habeck und dessen Druck auf Ausnahmen von der Schuldenbremse hinzu.

DRUCK AUF EU-KOMMISSION

Scholz forderte von der EU-Kommission eine "grundsätzliche Neuaufstellung beim Thema Wettbewerbsfähigkeit". Er kritisierte, dass die Kommission die Laufzeiten von Patenten für die Pharmaindustrie kürzen wolle. Zudem forderte er die Kommission auf, endlich für mehr Freihandelabkommen zu sorgen. Kurz nach der Rede verkündete die EU-Kommission, die umstrittene Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) zunächst um ein Jahr auszusetzen. Diese soll neue Nachweise einführen, dass für Produkte keine Wälder gerodet wurden. Auch Lindner kritisierte die EU-Kommission: "Wir können gar nicht so schnell nationale Bürokratie abbauen, wie neue aus Brüssel dazu kommen", sagte er.

Zudem wolle die Bundesregierung erreichen, dass über den derzeitigen Kreis hinaus auch Firmen der Chemie- und Glasindustrie bei Netzentgelten entlastet werden könnten, sagte der Kanzler. Dazu bedarf es einer beihilferechtlichen Erlaubnis der EU. "Ich will, dass Unternehmen, die auch in Zukunft einen hohen und konstanten Stromverbrauch haben, weiter und dauerhaft von den reduzierten Netzentgelten profitieren können", sagte der SPD-Politiker. Kurzfristig könnte ein Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten helfen, die Kosten zu deckeln. Langfristig könne ein "Amortisationskonto" für die Firmen eingerichtet werden.

Lindner bremste allerdings die Überlegungen des Kanzlers. "Darüber sprechen wir in der Bundesregierung noch. Daran ist noch zu arbeiten", sagte der FDP-Politiker. Ein Bundeszuschuss sei nichts anderes als eine Umverteilung von hohen Steuern zur Dämpfung hoher Energiekosten. Er wolle an die Ursachen gehen, und das bedeute eine Neuregelung bei der Subventionierung von erneuerbaren Energiequellen.

Wirtschaftsminister Habeck forderte die Bundesländer auf, dem Wachstumspaket der Ampel-Regierung zuzustimmen und es nicht wie zuvor das Wachstumschancenpaket wieder auf ein Drittel des Entlastungsvolumens zusammenzukürzen.

(Bericht von Andreas Rinke Redigiert von Scot W. Stevenson Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

Hinsichtlich weiterer Informationen und einer gegebenenfalls erforderlichen Offenlegung potenzieller Interessenkonflikte nach § 85 WpHG der für die Erstellung der zugrunde liegenden Finanzinformationen oder Analysen verantwortlichen Unternehmen wird auf das Informationsangebot dieser Unternehmen (Internetseite und andere Informationskanäle) verwiesen.