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21.02.2025 /13:48:46
HINTERGRUND-Koalitionsoptionen nach dem 23. Februar

(Aktualisierte Hintergrund vom 16. Februar, Basis neue Umfragen)

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Schwarz-rote Koalition galt als am wahrscheinlichsten



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Aber nun wecken Umfragen Zweifel an möglichen Zweier-Koalitionen



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Wenn kleine Parteien in Bundestag kommen, wird es schwierig



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FDP setzt auf Deutschland-Koalition

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Union fürchtet Kenia-Bündnis
 
- von Andreas Rinke
Berlin, 21. Feb (Reuters) - Wenige Tage vor der
Bundestagswahl am Sonntag beschäftigen sich die Parteien immer
stärker auch mit der Frage, welche Koalitionen nach dem Wahltag
gebildet werden können. Ein Bündnis mit der AfD haben alle
Parteien, insbesondere die Union, ausgeschlossen, auch wenn
Kanzler Olaf Scholz mit Verweis auf die Asylabstimmung von
CDU/CSU mit der AfD im Bundestag warnt, dass am Ende doch eine
schwarz-blaue Koalition stehen könnte. Angesichts der
derzeitigen Umfragewerte bleiben folgende Optionen:
SCHWARZ-ROT

Sollte die Union stärkste Kraft werden, will Kanzlerkandidat Friedrich Merz Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen führen. CSU-Chef Markus Söder hat aber betont, dass er auf jeden Fall eine Koalition mit den Sozialdemokraten will. Nötig wäre für ein Bündnis von CDU/CSU und SPD aber, dass die Union über die 30 Prozentmarke kommt und die SPD zulegt. Wenn dagegen einige kleine Parteien in den Bundestag einziehen, wird die Schwelle schwerer erreichbar.

Das früher "große Koalition" genannte Bündnis CSU/CSU/SPD hätte Vorteile, weil es in turbulenten Zeiten leichter Mehrheiten im Bundesrat für schwierige Entscheidungen finden könnte. Als Problem gilt aber zum einen die Person Merz selbst. Die Spitzen der SPD haben betont, dass sie ihm seit der Abstimmung mit der AfD nicht mehr vertrauten. Dies wird auch an der Basis als Tabubruch angesehen. Also werde die Union bei möglichen Koalitionsverhandlungen sehr auf die SPD zugehen müssen, heißt es bei den Sozialdemokraten. Zum anderen hat SPD-Co-Chef Lars Klingbeil die rote Linie gezogen, dass die SPD der Unionsforderung nach dauerhaften Grenzkontrollen und der Zurückweisung aller Flüchtlinge nicht zustimmen werde, weil dies nach Meinung der SPD gegen Grundgesetz und EU-Recht verstößt.

Bei der SPD erfolgt die Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag entweder durch einen Parteitag oder ein Mitgliedervotum. Angesichts der Anti-Merz-Stimmung gilt eine Zustimmung zumindest nicht als Selbstläufer. Die Union hat gerade beschlossen, dass nur noch der Bundesausschuss mit deutlich weniger Mitgliedern zustimmen muss. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dieser dem Vorschlag der Parteispitze folgt.

SCHWARZ-GRÜN

Merz schließt ein Bündnis mit den Grünen anders als Söder nicht aus, betont aber immer stärker, dass er dieses gerade in der Migrationspolitik, jetzt aber auch in der Außenpolitik als schwierig ansieht. Denn die Union besteht auf einem kompletten Politikwechsel. Der Grünen-Parteitag hat sich dagegen gerade für mehr - und nicht weniger - Familiennachzug ausgesprochen.

Auf menschlicher Ebene verstehe man sich mit den Grünen besser als mit den führenden Sozialdemokraten, heißt es aus der CDU-Spitze. Vertreter beider Parteien empfinden sich zudem als innovationsfreundlicher als die SPD. Die klare Ablehnung der CSU gilt aber als entscheidende Hürde, Söders persönliche Ablehnung gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck noch mehr. In der CSU wird gewarnt, dass ein schwarz-grünes Bündnis der AfD nur noch mehr Zulauf bringen würde.

Auch für die Grünen wären Merz' Glaubwürdigkeit und die Migrationspolitik hohe Hürden, die Parteiführung wirbt aber damit, dass sie ein nötiges "Korrektiv" zu Merz wären. Bei den Grünen gab es 2021 einen Mitgliederentscheid über den Ampel-Koalitionsvertrag. Wie die Zustimmung diesmal eingeholt würde, sei noch nicht entschieden, heißt es in der Partei. Angesichts der derzeitigen Schwäche von Union und Grünen in den Umfragen gilt ein solches Bündnis aber auch rechnerisch als wenig wahrscheinlich.

DEUTSCHLANDKOALITION: UNION, SPD, FDP

Es kann sein, dass es nicht für ein Zweierbündnis reicht. Die Anzeichen mehren sich sogar, weil die Linke stark zugelegt hat und wohl sicher in den Bundestag einzieht. Laut ZDF-Politbarometer liegen FDP und BSW dagegen bei 4,5 Prozent. Sollten sie beide in den Bundestag einziehen, gelten Zweierbündnisse als ausgeschlossen. Sollte die FDP wieder in den Bundestag einziehen, gibt es theoretisch die Möglichkeit zu einer Deutschlandkoalition. Diese gibt es mit CDU, SPD und FDP bereits in Sachsen-Anhalt. Im Bund käme die CSU dazu. Bereits in der schwarz-gelben Regierung zwischen 2009 und 2013 hatte es erhebliche Reibereien zwischen der bayerischen Regionalpartei und den Liberalen gegeben.

FDP-Chef Christian Lindner zeigt sich überzeugt, dass eine Deutschlandkoalition kommen wird. Die Union und seine Partei könnten dann einen Politikwechsel bei Migration und Wirtschaft gegen die Sozialdemokraten erzwingen, argumentiert er. Sollte es zu einem Koalitionsvertrag kommen, braucht die FDP die Zustimmung eines Bundesparteitages.

KENIA-KOALITION: UNION, SPD, GRÜNE

Es könnte auch passieren, dass die FDP scheitert, aber Linke und BSW den Sprung ins Parlament schaffen und dadurch eine Zweierkoalition unmöglich ist. Denkbar wäre dann eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen, die es bereits einmal in Sachsen-Anhalt gab. Dies wäre aus Sicht der Union eine sehr schwierige Konstellation: Dann müsste Merz seine Politikwende gegenüber gleich zwei Partnern durchsetzen, die viele inhaltliche Überschneidungen haben und die CDU und CSU als fast gleichstarker Block gegenüberstünden. Dieses Bündnis gilt auch deshalb als schwierig, weil dann die AfD die einzige größere Oppositionspartei wäre.

JAMAIKA, ROT-ROT-GRÜN, ROT-ROT-LILA-GRÜN UND SCHWARZ-GELB

Es gibt weitere Optionen, die aber alle noch unwahrscheinlicher sind. Dazu zählt ein Bündnis aus Union und FDP. Dafür müsste die FDP aber die Fünf-Prozent-Hürde tatsächlich überspringen und die Union gleichzeitig sehr deutlich zulegen.

Ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP hat FDP-Chef Lindner ausgeschlossen.

Eine rot-rot-grüne Koalition ist minimal wahrscheinlicher geworden, seit die Linken in Umfragen wieder bei mehr als fünf Prozent gesehen werden. Aber zusammen wären SPD, Grüne und Linke zu schwach - von den großen Differenzen etwa in der Außenpolitik ganz zu schweigen. Scholz hat ein solches Bündnis ebenso ausgeschlossen wie eine theoretisch denkbare Koalition von SPD, Grünen, BSW und Linken. Rechnerisch gebe es dafür auch keine Mehrheit.

UND WENN ES KEINE EINIGUNG GIBT? MINDERHEITSREGIERUNG?

Vor allem in der SPD wird gewarnt, dass Merz am Ende ohne Koalition dastehen könnte - wegen des mangelnden Vertrauens und weil die Union möglicherweise versucht, Maximalforderungen durchzusetzen. Während Merz auf einen Koalitionsabschluss bis Ostern hofft, tippen viele Sozialdemokraten auf lange Verhandlungen. Während dieser Zeit würde Scholz immer noch als Kanzler auftreten. Die Entwicklung in Österreich gilt als Mahnung und Warnung für die Mitte-Parteien: Dort zerstritten sich ÖVP, SPÖ und die liberalen Neos so sehr, dass die Konservativen dann mit der rechten FPÖ Koalitionsverhandlungen führten - die am Ende auch scheiterten.

Merz hat es mittlerweile ausgeschlossen, dass er sich notfalls mit AfD-Stimmen zum Kanzler einer Minderheitsregierung wählen lassen würde.

(Mitarbeit: Sarah Marsh, Holger Hansen und Alexander Ratz. Redigiert von Ralf Bode.)

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