(aktualisiert Analyse vom 31. Oktober)
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SPD appelliert mit Blick auf Trump an Ampel-Zusammenhalt
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In Koalition wird mit Blick auf Trump Stabilität angemahnt
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Wie stark dominiert bei FDP Parteipolitik?
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CDU-Politiker Hardt fordert wegen US-Wahl vorgezogene Neuwahlen
- von Andreas Rinke |
Berlin, 01. Nov (Reuters) - 81 Prozent der Deutschen |
gehen laut ZDF-Politbarometer davon aus, dass ein Sieg von |
Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl eher schlecht für |
Deutschland wäre. Allein die Aussicht auf ein solches |
Wahlergebnis sollte die Ampel-Parteien wieder dazu bringen, für |
Stabilität und Handlungsfähigkeit zu sorgen, appelliert |
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch deshalb gegenüber der |
Nachrichtenagentur Reuters an die Koalitionspartner Grüne und |
FDP. "Externe Krisen können zusammenschweißen." Die |
Bundesregierung müsse in der Umbruchphase nach Präsident Joe |
Biden, die auf jeden Fall sehr schwierig werde, handlungsfähig |
sein, mahnt auch ein EU-Diplomat. Am 6. November, also am Tag |
nach der US-Wahl, werden die Ampel-Spitzen im |
Koalitionsausschuss über die Folgen der Abstimmung sprechen. |
Aber Gespräche mit einem Dutzend Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker zeigen, dass es nicht sicher ist, ob selbst der Druck der US-Wahl die Ampel wirklich noch einmal zusammenschweißen kann - schon weil sie in den Debatten bisher kaum auftaucht. Es dominiert der innenpolitische Blick und der Streit über den "Herbst der Entscheidungen" mit der nötigen Verabschiedung des Bundeshaushalts 2025, des Rentenpakets II und des 49-Punkte-Wachstumsprogramms.
Dabei erinnert die Situation auf den ersten Blick an 2016. Damals hatte Kanzlerin Angela Merkel eigentlich ihre politische Karriere beenden wollen. Dann wurde sie aus dem In- und Ausland wegen der Trump-Wahl bedrängt, unbedingt doch erneut zu kandidieren. Deutschland und Europa bräuchten Stabilität, lautete das Argument. Man traute keinem unerfahreneren Kanzler zu, mit Trump zurechtzukommen. In einer solchen Lage stehe die staatsbürgerliche Verantwortung der Parteien über allem anderen, betonen mehrere führende Ampel-Vertreter, die alle nicht genannt werden wollen, auch heute.
Dennoch ist die Lage aus mehrfachen Gründen anders: Nach drei Jahren Ampel-Regierung wirkt das ehemalige Fortschritts-Bündnis an sich nicht mehr stabil. Laut Forsa-Umfrage kommen SPD, Grüne und FDP nicht einmal mehr auf 30 Prozent Zustimmung. Die Liberalen liegen konstant unter der Fünf-Prozent-Marke. "Es ist offensichtlich, dass FDP-Chef Lindner vor allem überlegt, ob er einen Wiedereinzug seiner Partei in den Bundestag 2025 vielleicht eher schafft, wenn er vorzeitig die Ampel verlässt", sagt ein hochrangiges Regierungsmitglied. "Die US-Wahl scheint in der Abwägung völlig nachrangig." Tatsächlich spielen außenpolitische Überlegungen und Deutschlands Stabilitäts-Verantwortung als stärkster EU-Staat in den allermeisten Ampel-Diskussionen überhaupt keine Rolle.
Zwar appelliert Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge beim Redaktionsnetzwerk-Deutschland ebenfalls an den Zusammenhalt. "Die Koalition hat gezeigt, dass sie in Krisenzeiten handlungsfähig ist, etwa nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine oder in der Energiekrise", beschwört Miersch angesichts der jüngsten Spannungen zwischen SPD, Grünen und FDP den Geist von 2022 auch mit Blick auf außenpolitische Herausforderungen. Aber aus Sicht von SPD und Grünen verhindert der rigide Finanzkurs von Lindner, dass man etwa auf das mögliche Zusammenstreichen der amerikanischen Ukraine-Hilfe durch Trump mit einer deutlichen Aufstockung der deutschen Unterstützung reagieren könnte.
Während SPD und Grünen zunehmend entnervt die Liberalen als Unsicherheitsfaktor und Investitions-Blockierer ansehen, kritisiert Lindner offen, dass die Wirtschaftspolitik der eigenen Regierung falsch sei. "Wenn man die Grenzen des Möglichen erreicht und nicht den Erwartungen und Anforderungen des Landes entspricht, dann ist es Mut, eine neue Dynamik zu entfachen", hatte er schon im September gesagt. Am Donnerstag sagte er dem "Spiegel", dass er keinen "Vorsatz" habe, die Koalition zu verlassen.
Dazu kommt ein anderer Faktor: Anders als bei Merkel trauen die meisten Deutschen Kanzler Scholz offenbar nicht zu, der richtige Politiker für eine zweite Amtszeit Trumps zu sein: 54 Prozent geben im ZDF-Politbarometer an, dass sie in diesem Fall CDU-Chef Friedrich Merz für den geeigneteren Kanzler halten würden. Lediglich 14 Prozent glauben dies bei Scholz. Nur bei einem Wahlsieg von Kamala Harris schneidet der Kanzler gleich gut ab wie Merz.
Der außenpolitischen Sprecher der Union, Jürgen Hardt, zieht auch deshalb den entgegengesetzten Schluss zu 2016 - er plädiert nicht für ein Zusammenraufen der Ampel, sondern für vorgezogene Neuwahlen. "Es wäre im Interesse des deutschen Volkes und auch der transatlantischen Zusammenarbeit, wenn wir eine starke Regierung haben. Und die haben wir jetzt nicht", sagte der CDU-Politiker zu Reuters. Dass Deutschland im Falle eines Ampel-Bruchs auch bei einer Trump-Wahl ein halbes Jahr mit sich selbst beschäftigt wäre, empfindet er als das kleinere Übel - zumal im Sommer ohnehin Wahlkampf wäre.
Hardt und der US-Experte Josef Braml werfen der Regierung vor, sich völlig ungenügend auf die Folgen der US-Wahl vorbereitet und die Chancen für eine engere Zusammenarbeit in der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden verpasst zu haben. Braml erwartet übrigens auch Spannungen bei einer Wahl von Kamala Harris, die auch mehr Rüstungsausgaben fordern werde. "Die deutsche Politik hat einfach nicht verstanden, dass wir zwischen Butter und Kanonen abwägen müssen, wenn wir die Bedrohung durch Russland ernst nehmen", sagte er zu Reuters. Da aber nur AfD und BSW profitieren würden, wenn auf nationaler Ebene soziale Leistungen gestrichen würden, fordert Braml die europäische Finanzierung viel höherer Rüstungsausgaben über gemeinsame Eurobonds. Anders könnten Deutschland und die EU nicht mehr auf die zunehmende Abwendung der USA nach China und Asien reagieren. Aber das würde das nächste Tabu in der Ampel berühren - und bei der Union.
(redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)