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14.09.2024 /13:29:17
HINTERGRUND-Russlands Exil-Opposition tief gespalten - Vorwürfe um Rufmord und Anschläge

- von Andrew Osborn und Lucy Papachristou
London, 14. Sep (Reuters) - Die russische Opposition im
Exil verstrickt sich in immer tiefere Grabenkämpfe. Die beiden
wichtigsten Gruppierungen - die Verbündeten des in Haft
gestorbenen Alexej Nawalny und die Gruppe um den Ex-Oligarchen
Michail Chodorkowski - erheben gegenseitige schwere Vorwürfe.
Die von Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Stiftung ACF
beschuldigt den Chodorkowski-Verbündeten Leonid Newslin,
Angriffe auf die Nawalny-Helfer Leonid Wolkow und Iwan Schdanow
sowie auf die Frau eines in Argentinien lebenden Aktivisten
angeordnet zu haben. Chodorkowski weist das zurück und wirft der
ACF Rufmord vor.

Wolkow wurde vergangenen März vor seinem Haus in Vilnius in Litauen von einem Unbekannten mit einem Hammer angegriffen. Dabei wurden ihm nach eigenen Angaben ein Arm gebrochen und ein Bein schwer verletzt. In einem am vergangenen Donnerstag veröffentlichten Video auf Nawalnys YouTube-Kanal wird Newslin als Urheber des Angriffs bezeichnet. Litauische Behörden waren davon ausgegangen, dass Russland hinter dem Anschlag auf den Kritiker von Präsident Wladimir Putin stecken könnte.

CHODORKOWSKI FORDERT GERICHTLICHE KLÄRUNG

Sowohl Newslin als auch Chodorkowski wiesen die Anschuldigungen als falsch zurück. Sie sähen aus, als seien sie in Moskau ausgeheckt worden und ähnelten denen, die von russischen Staatsmedien verbreitet würden, schrieb Newslin im Kurznachrichtendienst X. "Lasst eine unabhängige Untersuchung diese so genannten 'Materialien' zuerst auswerten und, wenn die Untersuchung es für notwendig hält, dann ein Gericht in einem demokratischen Land", schrieb der in Israel lebende Geschäftsmann.

Chodorkowski verteidigte Newslin und erklärte, die Vorwürfe sähen aus, als kämen sie von russischen Geheimdiensten. Wenn die Nawalny-Anhänger ihm etwas vorzuwerfen hätten, sollten sie vor Gericht ziehen. Sie sollten nicht seinen Ruf beschädigen, erklärte Putin-Gegner Chodorkowski, der jahrelang in russischen Gefängnissen gesessen hatte.

Die von Nawalny gegründete Anti-Korruptions-Stiftung ACF erklärte dazu, sie habe ihre Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden der Länder übermittelt, in denen sich Newslin aufgehalten habe. Die litauische Generalstaatsanwaltschaft gab keine Auskunft auf die Frage, ob sie Material von ACF erhalten habe. Sie teilte aber mit, dass wegen des Anschlags auf Wolkow weiter ermittelt werde.

RUSSISCHE DISSDENTEN ERSCHÜTTERT

ACF-Mitglied Schdanow warf der Gruppe um Chodorkowski Donnerstagabend in einer Online-Diskussion vor, der Glaubwürdigkeit der russischen Opposition schwer geschadet zu haben. "Es ist schwer vorstellbar, wie er (Newslin) noch etwas Schlimmeres hätte tun können. Jedes Mal, wenn in Zukunft ein Anschlag verübt wird, werden sich die Leute fragen, ob Putin, der russische Geheimdienst oder eine Figur der Opposition dahintersteckt."

Viele russische Dissidenten reagierten in sozialen Medien schockiert auf die gegenseitigen Anschuldigungen. Einige warnten, dass die Enthüllungen wenig änderten und von der zentralen Aufgabe, Putin zu besiegen, ablenkten. "Egal, wie viel Schaden die Querelen anrichten, dieser Schaden ist nicht entscheidend", schrieb der Wirtschaftswissenschaftler Konstantin Sonin von der Universtät von Chicago auf X. Er forderte dazu auf, zu den grundlegenden Fragen zurückzukehren: "Wie kann man den Krieg beenden? Wie kann man Putin loswerden und das Regime stürzen?"

(Zusätzliche Berichterstattung von Andrius Sytas, geschrieben von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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