(Neu: Bundesregierung, Geheimdienste, Zahl der Opfer)
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Russland verstärkt tägliche Drohnen- und Raketenangriffe
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US-Präsident nach Telefonat mit Putin ernüchtert
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Selenskyj will in Gespräch mit Trump Waffenlieferung erreichen
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Geheimdienste werfen Russland Chemiewaffen-Einsatz vor |
Kiew, 04. Jul (Reuters) - Russland setzt seine |
Luftangriffe auf die Ukraine unvermindert heftig fort. Nur |
wenige Stunden nach einem neuen Telefonat von Präsident Wladimir |
Putin mit US-Präsident Donald Trump startete das russische |
Militär den bislang schwersten Drohnenangriff auf die |
ukrainische Hauptstadt Kiew seit Kriegsbeginn. Dabei wurde ein |
Mensch getötet, mindestens 23 weitere Menschen wurden verletzt |
und zahlreiche Gebäude beschädigt. Das ganze Land wurde nach |
Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit |
insgesamt 539 Drohnen und elf Raketen angegriffen. Von den |
insgesamt 550 Geschossen hätten 478 abgefangen werden können. |
Jedoch habe es entsprechend auch neun Raketen- und 63 |
Drohneneinschläge gegeben. Er sprach von einem der größten |
russischen Angriffe auf die Ukraine des gesamten Kriegs. |
Hauptziel sei Kiew gewesen. "Wieder einmal zeigt Russland, dass |
es nicht die Absicht hat, den Krieg und den Terror zu beenden," |
erklärte Selenskyj auf der Online-Plattform X. |
Nur kurz zuvor hatte sich US-Präsident Trump nach einem erneuten Telefonat mit dem russischen Staatschef Putin am Donnerstag ernüchtert gezeigt. "Ich glaube nicht, dass er aufhören will. Und das ist wirklich schlimm", sagte Trump mit Blick auf die Aussicht auf eine Waffenruhe in der Ukraine. Er sei sehr enttäuscht von dem Gespräch mit Putin. Noch am Freitag sei nun eine Unterredung mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj geplant, fügte Trump hinzu.
Selenskyj forderte erneut höheren Druck auf Russland. "Bemerkenswert ist, dass die ersten Luftalarme in unseren Städten und Regionen gestern fast zeitgleich mit Medienberichten über ein Telefonat zwischen Präsident Trump und Putin zu schrillen begannen", schrieb Selenskyj auf X.
Bei dem Telefonat von Trump und Selenskyj dürfte es vor allem um die Entscheidung der USA gehen, die von der Vorgängerregierung Joe Biden zugesagten und bereits finanzierten Waffenpakete nicht mehr an die Ukraine auszuliefern, sondern sie den US-Streitkräften zukommen zu lassen. Teil dieses Pakets ist neben Artilleriemunition auch von der Ukraine dringend benötigte Munition für ihre Luftabwehr. Selenskyj betonte, dass er US-Präsident Trump überzeugen wolle, diese Lieferung freizugeben. Zudem müssten die USA ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen, drängte er. Dies fordert auch die EU, die aber wegen des slowakischen Widerstands immer noch nicht ihr 18. Sanktionspaket verabschieden konnte.
Denkbar ist, dass die Ukraine selbst den Kauf der US-Waffen anbietet oder dass die Europäer die Lieferung finanzieren. Experten warnen, dass die Ukraine ohne neue Munition Probleme haben wird, die seit Wochen verstärkten russischen Luftangriffe abzuwehren.
"Die Ukraine braucht dringend Mittel zur Luftverteidigung", sagte auch Polens Außenminister Radoslaw Sikorski am Freitag. Bei dem jüngsten russischen Angriff auf Kiew sei auch das Gebäude der Konsularabteilung der polnischen Botschaft beschädigt worden. Verletzte habe es dabei nicht gegeben.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) setze sich in Telefonaten intensiv für eine Stärkung der ukrainischen Flugabwehr ein, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Das Problem sei drängend. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums ergänzte, Ressortchef Boris Pistorius (SPD) werde Mitte Juli zu Gesprächen nach Washington reisen. Dabei werde es auch um die weitere Unterstützung der Ukraine gehen.
Insgesamt wurden in Kiew den Behörden zufolge etwa 40 Wohnblöcke, Eisenbahninfrastruktur, fünf Schulen und Kindergärten, Cafés und viele Autos beschädigt. Sechs der zehn Kiewer Bezirke seien von dem Angriff betroffen gewesen. Vom frühen Abend bis zum Morgengrauen waren Luftalarmsirenen, das Surren von Kamikaze-Drohnen und dröhnende Detonationen zu hören.
GEHEIMDIENSTE WERFEN RUSSLAND EINSATZ VON CHEMIEWAFFEN VOR |
Die deutschen und niederländischen |
Geheimdienste
werfen Russland vor, in der Ukraine die verbotene chemische Substanz Chlorpikrin einzusetzen, die bei hoher Konzentration in geschlossenen Räumen tödlich sein kann. "Dies stellt einen ernsteren Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen dar, das den Einsatz dieses Lungenkampfstoffs unter allen Umständen untersagt", teilte der Bundesnachrichtendienst am Freitag mit. Ähnlich äußerten sich die niederländischen Dienste.
Russland hatte die Ukraine im Februar 2022 überfallen und hält etwa 20 Prozent des Landes besetzt. Als Vergeltung für die fortgesetzten Angriffe flogen offenbar auch die ukrainischen Streitkräfte wieder Drohnenattacken auf Ziele in Russland. So meldeten russische Behörden einen ukrainischen Drohnenangriff auf die Großstadt Sergijew Possad rund 70 Kilometer nordöstlich von Moskau. Bei dem Angriff sei eine Person verletzt und die Strominfrastruktur beschädigt worden, teilten die Regionalbehörden mit. Sergijew Possad gilt als wichtiges Zentrum der russisch-orthodoxen Kirche im Großraum Moskaus. Das Verteidigungsministerium in Moskau teilte mit, dass die Luftabwehr in der Nacht 48 ukrainische Drohnen über insgesamt fünf russischen Regionen abgeschossen habe.
(Bericht von Pavel Polityuk, Gram Slattery, Dan Peleschuk und Dmitry Antonov; geschrieben von Andreas Rinke; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)