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04.10.2024 /07:00:00
WDHLG-HINTERGRUND-Der große Exodus - Viele Abgeordnete verlassen Bundestag

(Wiederholung vom Donnerstag ohne Änderungen am Text)

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Bei SPD gehen viele internationale Experten



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Union verliert prominente Frauen



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Pistorius und Kanzleramtschef wollen ins Parlament





- von Andreas Rinke -

Berlin, 04. Okt (Reuters) - Ein Jahr vor dem angepeilten Wahltermin zeichnen sich für den nächsten Bundestag große Veränderungen ab. In den Wahlkreisen stellen die Parteien ihre Direktkandidaten auf - und schon jetzt ist absehbar, dass der Aderlass groß sein wird. Umgekehrt haben Verteidigungsminister BORIS PISTORIUS und Kanzleramtschef WOLFGANG SCHMIDT (beide SPD) für Überraschungen gesorgt, weil sie erstmals in den Bundestag einziehen wollen: Schmidt übernimmt den Hamburger Wahlkreis von Entwicklungsstaatssekretär NIELS ANNEN. Pistorius wollte sich zunächst in seiner Heimatstadt Osnabrück um ein Direktmandat bemühen. Weil der dortige SPD-Abgeordnete MANUEL GAVA nicht weichen wollte, tritt Pistorius im Wahlkreis Hannover II an.

Formell ist der Prozess der Kandidatenaufstellung lange nicht abgeschlossen. Die NRW-SPD etwa beschließt ihre Landesliste am 11. Mai 2025, wenn es nicht zu einer vorgezogenen Wahl kommt. Aber die Liste der Abgeordneten, die nicht mehr kandidieren, ist bereits jetzt lang. Ein Überblick über die prominentesten Personalien und ein Blick auf die Motive:

ENDE DER KARRIERE

RENATE KÜNAST und JÜRGEN TRITTIN (beide Grüne) haben angekündigt, nicht mehr anzutreten. Künast war in ihrer Karriere unter anderem Agrar- und Trittin Umweltminister. Bei der CSU hören gleich mehrere betagte Prominente auf - wie der 70-jährige frühere Verkehrsminister PETER RAMSAUER oder der frühere Innenminister HANS-PETER FRIEDRICH, die nach ihren Ministerposten eine Abkühlphase im Bundestag hatten. Auch der frühere CDU-Gesundheitsminister HERMANN GRÖHE will nicht erneut kandidieren. Bei der AfD hört etwa der 83-jährige ALEXANDER GAULAND auf, bei der Linkspartei die 63-jährige GESINE LÖTZSCH.

MITTE DER KARRIERE

Untypisch wirkt diesmal, dass auch viele Abgeordnete ausscheiden, die noch nicht am Ende ihrer Karriere sind - und durchaus führende Positionen haben. Ein Beispiel ist SARAH RYGLEWKSI (SPD), Staatsministerin im Kanzleramt. Auch Familienstaatssekretärin EKIN DELIGÖZ (Grüne) will nicht mehr antreten. Der 50-jährige frühere Verkehrsminister ANDREAS SCHEUER (CSU) hatte schon Anfang des Jahres seinen Rückzug erklärt.

Ein Motiv ist, dass sich die Politiker und Politikerinnen noch Karrieren an anderer Stelle versprechen. Der SPD-Abgeordnete Annen etwa möchte Flüchtlingskommissar der UN werden. Der FDP-Politiker MICHAEL THEURER wiederum wechselt in den Bundesbank-Vorstand. "Parlamentarische Staatssekretäre wissen zudem, dass der Karriereweg für sie mit diesem Posten meist beendet ist", beschreibt ein Ampel-Politiker die Überlegungen seiner Kollegen.

ENTTÄUSCHUNGEN UND FAMILIE

Ein weiteres Motiv sind Enttäuschungen oder familiäre Gründe. So hatte die FDP-Politikerin CLAUDIA RAFFELHÜSCHEN der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, sie sei über die Schwerfälligkeit der politischen Prozesse enttäuscht. Sie will nach einer Legislaturperiode nicht mehr kandidieren. Der 39-jährige Grünen-Haushälter SVEN-CHRISTIAN KINDLER wiederum betont, dass die Zeit im Bundestag einen sehr hohen Preis für die Familie gefordert habe. Persönliche Gründe gibt auch MICHELLE MÜNTEFERING (SPD) an.

Bei dem im Senegal geborenen SPD-Abgeordneten KARAMBA DIABY wurde spekuliert, dass er sich wegen rassistischer Angriffe zurückzieht - was er dementiert. Aber ein zusätzliches Motiv für etliche Rückzüge könnte sein, dass auf allen politischen Ebenen geklagt wird, dass die Aggressivität gegenüber Politikern zugenommen hat.

ADERLASS DER SPD-INTERNATIONALEN

"Es hörten noch nie so viele Parlamentarier in der SPD auf, die für internationale Themen standen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer. Das betrifft den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, MICHAEL ROTH, aber auch Fraktionsvizechef ACHIM POST, den verteidigungspolitischen Sprecher WOLFGANG HELLMICH sowie die Abgeordneten DIETMAR NIETAN, JOSIP JURATOVIC und den schon erwähnten Annen.

Bei Roth wurde spekuliert, dass dies auch mit seiner oft abweichenden Meinung etwa zu Militärhilfen für die Ukraine zu tun haben könnte. Noch unklar ist, ob SPD-Fraktionschef ROLF MÜTZENICH wieder antritt. Er hat sich mehr Bedenkzeit ausgebeten. Ein Grund dürfte die Überlegung sein, dass ein Rückzug nach außen den Eindruck vermitteln könnte, die Ampel sei am Ende.

RÜCKZUG VON CDU-FRAUEN

Die Unionsfraktion verzeichnet ohnehin einen unterdurchschnittlichen Anteil weiblicher Abgeordneter. Aber nun haben bereits etliche prominente Parlamentarierinnen erklärt, nicht wieder antreten zu wollen: Dazu gehören die aus Sachsen stammende Bundestagsvizepräsidentin YVONNE MAGWAS, Fraktionsvizechefin NADINE SCHÖN aus dem Saarland und die Vorsitzende der Frauenunion, ANNETTE WIDMANN-MAUZ.

(Redigiert von Thomas Seythal. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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