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29.09.2024 /19:21:41
TOP-THEMA-Österreichs Rechtspopulisten triumphieren bei Parlamentswahl

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FPÖ mit 29,1 Prozent der Stimmen klar in Führung



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ÖVP verliert auf 26,2 Prozent, SPÖ auf 20,4 Prozent



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Grüne und liberale Neos bleiben jeweils unter neun Prozent



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FPÖ könnte erstmals in Kanzerlamt einziehen



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Bis auf ÖVP lehnen alle Parteien eine Koalition mit der FPÖ ab





(neu: aktualisierte Hochrechnung, Aussagen der Spitzenkandidaten)

- von Alexandra Schwarz-Goerlich
Wien, 29. Sep (Reuters) -

In Österreich ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) erstmals bei einer Nationalratswahl als stimmenstärkste Kraft hervorgegangen. Die EU- und islamkritische Partei konnte beim Urnengang am Sonntag kräftig zulegen und kommt auf 29,2 Prozent der Wählerstimmen nach 16,2 Prozent bei der Wahl 2019, ergab eine aktualisierte Hochrechnung des Instituts Foresight für die Nachrichtenagentur APA und den ORF. Die FPÖ erreicht damit ihr bisher bestes Ergebnis und Parteichef Herbert Kickl kann damit den Anspruch auf das Kanzerlamt erheben. Um regieren zu können, brauchen die "Blauen" aber einen Koalitionspartner. Ob das gelingt, ist offen. In Frage kommt dafür einzig die konservative Volkspartei (ÖVP), alle anderen Parteien lehnen ein Bündnis mit der FPÖ kategorisch ab.

"Der Wähler hat heute ein Machtwort gesprochen", sagte
Kickl nach der Wahl bei einer Fernseh-Diskussionsrunde mit den
anderen Spitzenkandidaten. "Wir sind bereit, eine Regierung zu
führen". Er wolle mit allen Parteien Gespräche führen. Wichtig
sei nun, was der Bundespräsident macht, räumte Kickl ein. Um
offiziell mit Koalitionsverhandlungen beginnen zu können,
braucht die FPÖ nämlich den Regierungsbildungsauftrag von
Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Ob es dazu kommt, ist
vorerst unklar. Gemäß Verfassung hat das Staatsoberhaupt hier
freie Hand. Van der Bellen, der sich am Abend noch zu Wort
melden will, äußerte früher Vorbehalte gegen eine
"anti-europäische" sowie Russland-freundliche Partei.
Traditionell erhielt bisher immer die stimmenstärkste Partei den
Auftrag.
 
Eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung wird
jedenfalls die ÖVP spielen. Die Partei, die derzeit mit Karl
Nehammer den Kanzler stellt, muss herbe Verluste einstecken und
kommt auf 26,3 Prozent der Stimmen. Unter Ex-Kanzler Sebastian
Kurz erreichte die ÖVP 2019 noch 37,5 Prozent. Rechnerisch hätte
eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ eine klare Mehrheit. Doch
die Verhandlungen könnten schwierig werden, da Nehammer eine
Zusammenarbeit mit Kickl ausschließt, wie er nun bekräftigte.
"Es wäre verwegen den Menschen vor der Wahl etwas zu
versprechen, Hoffnungen zu wecken und dann genau das Gegenteil
zu tun", so Nehammer. Einen Rücktritt schloss er aus.
Abgeschlagen auf Platz drei liegt die
sozialdemokratische SPÖ mit 20,4 Prozent. Parteichef Andreas
Babler zeigte sich nach der Wahl offen für Gespräche, um eine
Allianz gegen die FPÖ zu bilden. Damit sich eine Mandatsmehrheit
ausgeht, bräuchte es jedoch eine Koalition aus drei Parteien. In
Frage kommt dafür eine kleinere Partei, wie die liberalen Neos,
die leicht auf 8,9 (2019: 8,1) Prozent zulegen können. Die
Grünen, derzeit Juniorpartner in einer Koalition mit der ÖVP,
verlieren auf 8,2 (2019: 13,9) Prozent und sind damit
vierstärkste Kraft.
 
FPÖ-ERFOLG ZEICHNETE SICH AB
 
Die FPÖ führte lange Zeit die Umfragen deutlich an. In
den Tagen vor der Wahl hatte sich der Vorsprung zur ÖVP
verringert, weshalb ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet wurde. Bei
der EU-Wahl im Juni ging die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten
Wahl als Sieger hervor. Populär sind die Freiheitlichen bei
ihren Wählern vor allem wegen ihrer scharfen Kritik an der
Asylpolitik in Österreich und in Europa. In ihrem Wahlprogramm
unter dem Titel "Festung Österreich" fordert die FPÖ etwa einen
absoluten Asylstopp und ein Verbot des politischen Islams. Hinzu
kommt, dass Österreichs Wirtschaft schwächelt und viele Menschen
wegen der hohen Inflation, die über dem EU-Schnitt liegt,
frustriert sind.

Mit ihrem Erfolg reiht sich die FPÖ zu anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa ein, die derzeit generell im Aufwind sind. In den Niederlanden wurde im Herbst 2023 die rechtspopulistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders stärkste Kraft. In Italien regiert seit 2022 Giorgia Meloni von der rechten Partei Fratelli d'Italia. In Ungarn verfolgt Ministerpräsident Viktor Orban und seine Partei Fidesz schon seit vielen Jahren eine Anti-Migrationspolitik. In Deutschland kann die AfD in einigen Bundesländern stark zulegen und ist laut Umfragen zweitstärkste Kraft hinter der Union.

(Bericht von Alexandra Schwarz-Goerlich Redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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