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28.11.2025 /10:51:29
FOKUS 2-Reallöhne wachsen schneller - "Herbe Kaufkraftverluste aufgeholt"

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Plus von 2,7 Prozent im dritten Quartal

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"Das war der bislang höchste Anstieg in diesem Jahr"

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IfW: Hohe Abfindungen können dazu beigetragen haben

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Experten erwarten trotzdem mauen Konsum

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Einzelhande vor Weihnachtsgeschäft mit Umsatzschwund
 
(neu: Details, Ökonomen, Einzelhandel)
Berlin, 28. Nov (Reuters) - Die Kaufkraft der deutschen
Arbeitnehmer ist im dritten Quartal trotz Wirtschaftsflaute
schneller gewachsen. Die Reallöhne lagen von Juli bis September
um durchschnittlich 2,7 Prozent höher als ein Jahr zuvor. "Das
war der bislang höchste Anstieg in diesem Jahr", teilte das
Statistische Bundesamt am Freitag mit. Es war zudem das zehnte
positive Quartal in Folge. Der Reallohn gibt an, wie viel den
Arbeitnehmern nach Abzug der Inflation tatsächlich übrig bleibt:
Während die nominalen Löhne um 4,9 Prozent zulegten, stiegen die
Verbraucherpreise nur um rund 2,3 Prozent. Im Frühjahr hatte das
Reallohnplus noch bei 1,9 Prozent gelegen, in den ersten drei
Monaten des Jahres bei 2,5 Prozent.

"Es geht mit den Löhnen wieder aufwärts, das ist eine gute Nachricht ? für die Beschäftigten, die Binnennachfrage und die Konjunktur", sagte der Experte des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), Malte Lübker. "Aber insgesamt haben die Reallöhne gerade einmal die herben Kaufkraftverluste der letzten Jahre aufgeholt und sind jetzt wieder auf dem Stand vom 3. Quartal 2019." Das seien sechs Jahre Stagnation und damit eine lange Durststrecke für die Arbeitnehmer.

"EIN HOHER WERT"
Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge
zeichnet sich für das Jahr 2025 insgesamt ein Reallohnplus von
rund zwei Prozent ab. "Ein im langjährigen Vergleich hoher
Wert", sagte IfW-Experte Dominik Groll. "Dem steht kein
nennenswerter Anstieg der Arbeitsproduktivität gegenüber." Die
Höhe des Lohnanstiegs überrasche angesichts der wirtschaftlichen
Flaute. Ein Teil gehe wohl auf hohe Abfindungszahlungen zurück.
"Vor allem die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes befinden
sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess mit teils
umfangreichen Stellenabbauplänen", sagte Groll. In der Industrie
seien in den ersten drei Quartalen mehr Jobs weggefallen als im
gesamten Jahr 2024. Besonders in großen Unternehmen werde oft
ein sozialverträglicher Stellenabbau vereinbart, um auf
betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Dabei kämen auch
Abfindungszahlungen zum Einsatz.
 
Überdurchschnittliche Steigerungen der Nominallöhne gab
es im dritten Quartal im Bereich Erziehung und Unterricht (+7,3
Prozent), Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (+7,2
Prozent), Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und
Beseitigung von Umweltverschmutzungen sowie Information und
Kommunikation (jeweils +6,1 Prozent). Demgegenüber fiel der
Zuwachs im Baugewerbe (+3,5 Prozent), im Bereich Handel,
Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (+2,9 Prozent)
und im Gastgewerbe (+2,8 Prozent) unterdurchschnittlich aus.
"LIEBER NOTGROSCHEN ZURÜCKLEGEN"

Trotz steigender Kaufkraft halten die Deutschen ihr Geld zusammen. Im dritten Quartal sanken die privaten Konsumausgaben um 0,3 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Vierteljahr - das erste Minus seit Ende 2023. Das trug dazu bei, dass Europas größte Volkswirtschaft erneut kein Wachstum schaffte. Sie stagnierte im dritten Quartal, nachdem sie im Frühjahr sogar um 0,2 Prozent geschrumpft ist. In vielen Branchen wie im Auto- und Maschinenbau kommt es zu Entlassungen. "Die Furcht vor dem Arbeitsplatzverlust lässt die Sparquote steigen", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Die privaten Haushalte legen lieber den Notgroschen zurück als das Geld auszugeben." Vom privaten Konsum seien daher vorerst keine großen Sprünge zu erwarten.

Das legen auch neue Zahlen vom Einzelhandel nahe. Dieser hat vor dem wichtigen Weihnachtsgeschäft einen überraschenden Umsatzrückgang erlitten. Die Einnahmen sanken im Oktober um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Inflationsbereinigt fiel das Minus mit 0,3 Prozent noch größer aus. Das kommt unerwartet: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten hier mit einem Wachstum von 0,2 Prozent gerechnet, nachdem es im September noch zu einem Plus von 0,3 Prozent gereicht hatte.

"Vielleicht ist es noch etwas zu früh, aber eine Vorweihnachtsstimmung sieht anders aus", kommentierte der Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, Alexander Krüger, die Entwicklung. "Verbraucher sind jedenfalls derzeit nicht dabei, Konsumbudgets auszuweiten." Arbeitsplatzsorgen, politische Unsicherheit und eine höhere Sparneigung blieben eine Belastung.

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Ralf Banser - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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