Tunis, 28. Nov (Reuters) - In Tunesien sind Oppositionsführer, Geschäftsleute und Anwälte zu Haftstrafen von bis zu 45 Jahren verurteilt worden. Dies ging am Freitag aus einem Dokument eines Berufungsgerichts hervor. Kritiker werten dies als Zeichen für die zunehmend autoritäre Herrschaft von Präsident Kais Saied. Er war nach freien Wahlen 2019 ins Amt gekommen. 2021 schaltete er dann aber das gewählte Parlament aus und regiert per Dekret. In einem von der Opposition als Staatsstreich bezeichneten Akt übernahm er auch die Kontrolle über die Justiz. Saied hat seine Schritte als legal und notwendig bezeichnet, um Chaos und Korruption in dem Land, von dem einst der sogenannte Arabische Frühling ausging, zu beenden.
In dem größten politischen Prozess der jüngeren Geschichte Tunesiens wurden vierzig Personen der Verschwörung zum Sturz des Präsidenten beschuldigt. Zwanzig der Angeklagten sind ins Ausland geflohen und wurden in Abwesenheit verurteilt. Die Strafen reichen von fünf bis 45 Jahren, wie aus einem von Reuters eingesehenen Gerichtsdokument hervorgeht.
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International bezeichneten den Fall als eine Eskalation von Saieds Vorgehen gegen Andersdenkende. Kritiker, Journalisten und Aktivisten wurden inhaftiert und unabhängige Nichtregierungsorganisationen suspendiert. "Dies ist eine juristische Farce. Es gibt eine klare Absicht, politische Gegner zu beseitigen", sagte Mokthar Jmai, ein Anwalt der Angeklagten, am Donnerstag nach dem Prozess. Den Angeklagten, darunter ehemalige Beamte und der frühere Geheimdienstchef Kamel Guizani, wurde vorgeworfen, sie hätten versucht, das Land zu destabilisieren und Saied zu stürzen.
Prominente Oppositionsfiguren wie Ghazi Chaouachi, Issam Chebbi, Jawahar Ben Mbarek und Ridha Belhaj erhielten Haftstrafen von 20 Jahren, erklärte Dalila ben Mbarek, eine weitere Anwältin der Angeklagten. Der Politiker Noureddine Bhiri wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Die bekannte Oppositionspolitikerin Chaima Issa wurde zu 20 Jahren verurteilt. Nejib Chebbi, der Anführer des wichtigsten Oppositionsbündnisses "Nationale Heilsfront", erhielt zwölf Jahre, und Ayachi Hammami bekam fünf Jahre. Die Höchststrafe von 45 Jahren erhielt der Geschäftsmann Kamel Ltaif, der Oppositionspolitiker Khyam Turki wurde zu 35 Jahren verurteilt.
(Bericht von Tarek Amara, bearbeitet von Kerstin Dörr, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)