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28.11.2025 /14:42:49
FOKUS 2-Ökonomen und Wirtschaft kritisieren Rentenpläne - "Falsches Signal"

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Fuest: Das Paket erzwingt Steuererhöhungen



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Wirtschaftsweise Schnitzer: Das wird teuer



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DIHK: Beschlüsse sind "das falsche Signal"



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IMK: Kippen des Rentenpakets Gefahr für wirtschaftliche Erholung





(mit DIHK und BGA)
Berlin, 28. Nov (Reuters) -

Top-Ökonomen und Wirtschaftsverbände kritisieren das Festhalten der Koalition an ihren Rentenplänen scharf. "Das jetzt verabschiedete Rentenpaket wird künftig Steuererhöhungen erzwingen", sagte der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, Clemens Fuest, am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters. "Unternehmen und private Investoren werden darauf mit verstärkter Abwanderung aus Deutschland reagieren." Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer übt ebenfalls Kritik. "Das wird teuer", sagte die Chefin des Sachverständigenrates zu den Koalitionsplänen. Dabei sei die Haushaltslage ohnehin schwierig. Der Finanzminister wisse jetzt schon nicht, wie er zurechtkommen solle. "In den kommenden Jahren kommen dann noch Tilgungsverpflichtungen und Zinszahlungen hinzu", warnte Schnitzer.

Kritik kommt auch aus der Wirtschaft. Angesichts des
demografischen Wandels müsse die Politik insbesondere die
Belastungsspirale in der gesetzlichen Rentenversicherung
stoppen, forderte die Deutsche Industrie- und Handelskammer
(DIHK). "Die geplanten Rentenbeschlüsse sind hier insgesamt das
falsche Signal", sagte deren stellvertretender
Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Zwar könne die geplante
zusätzliche Kapitaldeckung helfen, die Folgen des demografischen
Wandels etwas zu dämpfen. "Die enorm hohen Kosten eines
festgeschriebenen Rentenniveaus bleiben aber unverändert."
 
Die Spitzen der schwarz-roten Koalition wollen den
Widerstand einiger Unions-Abgeordneter gegen das Rentenpaket mit
einem weitreichenden Bekenntnis zu einer umfassenden
Rentenreform brechen. Im Koalitionsausschuss einigten sich CDU,
CSU und SPD auf einen Begleittext. Demnach sollen im kommenden
Jahr in einem Rentenpaket II auch bisherige Tabuthemen wie eine
längere Lebensarbeitszeit, eine neue Berechnung des
Rentenniveaus nach 2032 und die Einbeziehung neuer Gruppen von
Beitragszahlern diskutiert werden.
"FALSCHE REIHENFOLGE"

"Das Festhalten am Verabschieden des Rentenpakets ist ein schwerer Fehler", sagte Ifo-Präsident Fuest dazu. Erst eine solche Reform zu verabschieden, die massive Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt bringe, und dann eine Expertenkommission einzusetzen, die in die Gegenrichtung steuern müsste, "ist die falsche Reihenfolge". Ob es dann wirklich später zu einer Reform komme, die in die Gegenrichtung steuere und die Nachhaltigkeit der Finanzen der Rentenversicherung wieder verbessere - etwa durch ein höheres Rentenzugangsalter - sei zweifelhaft.

Ähnlich äußerte sich der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Ich habe kein Vertrauen, dass die Regierungsparteien später noch die Kraft haben, gemeinsam echte Reformen des Rentensystems zu beschließen", sagte BGA-Präsident Dirk Jandura. "Wenn das Rentenpaket erstmal beschlossen ist, ist der Drops gelutscht." Seit Jahren fehle es den Politikern an Mut, die offensichtlichen strukturellen Probleme des Rentensystems anzupacken.

Kritik kommt auch von Banken-Volkswirten. "Durch das aktuelle System werden Arbeitnehmer und Arbeitgeber immer stärker zur Kasse gebeten", sagte der Chefvolkswirt der DZ BANK, Michael Holstein. Das werde zunehmend zur Gefahr für den Standort. Der Ökonom plädiert deshalb dafür, dass Deutschland Elemente der Rentensysteme seiner Nachbarländer übernehmen sollte ? vor allem aus Dänemark, den Niederlanden und Schweden. "In Dänemark und den Niederlanden ist das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt", sagte Holstein. Zudem sei eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge, die am Aktienmarkt investiert, sinnvoll.

Lob kommt dagegen vom gewerkschaftsnahen Institut für
Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). "Ohne das Paket
wäre es ab nächstem Sommer zu fallenden Sicherungsniveaus bei
den Renten gekommen", sagte dessen wissenschaftlicher Direktor
Sebastian Dullien. Die aktuellen Prognosen für eine
konjunkturelle Erholung im kommenden Jahr setzten auf einen
Zuwachs des privaten Konsums. Ein Absenken des Rentenniveaus
hätte das Risiko mit sich gebracht, dass der Privatkonsum
spürbar gedämpft würde ? "weil die Menschen Angst um ihre
Altersabsicherung bekommen hätten oder weil sie als Rentnerinnen
und Rentner schlicht dadurch weniger Geld zur Verfügung gehabt
hätten". Dulliens Fazit lautet deshalb: "Ein Kippen des
Rentenpakets hätte die wirtschaftliche Erholung in Deutschland
gefährdet."

(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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