(aktualisierte Fassung der Szenarien vom 25. November)
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Regierung ringt mit Widerstand in Unionsfraktion
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Junge Gruppe will Änderungen bei Rente - oder Garantien
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Ist Zusatzerklärung die Lösung?
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Kippt ein Rentengesetz, kippen alle
- von Andreas Rinke -
Berlin, 02. Dez (Reuters) - Am Freitag soll der Bundestag abschließend über den Gesetzentwurf zur sogenannten Haltelinie abstimmen. Dieser soll das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent des Durchschnittslohns festschreiben. Stein des Anstoßes ist ein Satz, an dem junge Unionsabgeordnete kritisieren, dass er auch Festlegungen über 2031 hinaus beinhaltet. Da die sogenannte Junge Gruppe über 18 Abgeordnete verfügt und trotz der klaren Position aller Parteispitzen den Gesetzentwurf weiter ablehnt, ist aus der Sachdebatte eine Machtfrage geworden. Denn die schwarz-rote Mehrheit im Bundestag beträgt nur zwölf Stimmen. Folgende Szenarien sind denkbar:
Eine Lösung wäre, den Satz zu streichen, der sich auf die Rentenberechnung für die Zeit nach 2031 bezieht. Dies würde die Junge Gruppe zufriedenstellen, gilt aber in den Spitzen der drei Parteien und der Regierungsfraktionen als ausgeschlossen. Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz lehnt dies ebenso wie der CSU-Vorsitzende Markus Söder und die SPD-Spitze ab. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Zum einen betont die Führung der Koalition, dass die SPD bei dem im Juli vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf nicht getrickst habe, wie dies die Junge Gruppe behauptet. Das Kabinett habe sich entschieden. Merz verweist zudem auf die Wählbarkeit der Union und warnt vor einem "Unterbietungswettbewerb" beim Rentenniveau.
Zum anderen hat das Beharren auf den Gesetzentwurf machtpolitische Gründe: Gibt man der Jungen Gruppe jetzt nach, droht eine noch unruhigere Legislaturperiode. Denn dann werde sich jede Gruppierung mit mehr als zwölf Stimmen ermutigt fühlen, Gesetzentwürfe mit der Warnung einer Nichtzustimmung verändern zu wollen, heißt es in allen drei Parteien. Eine Änderung des Gesetzentwurfs gilt deshalb als ausgeschlossen.
Der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD hat der Jungen Gruppe in der vergangenen Woche eine Brücke gebaut: In einer Zusatzerklärung wird auf die Rentenkommission verwiesen, die im kommenden Jahr eine grundsätzliche Reform ausarbeiten soll. Sie soll ihre Vorschläge für ein Rentenpaket II schon vor der Sommerpause vorlegen. Merz hat Beschlüsse bis Ende 2026 versprochen. Es soll keine Denkverbote geben, und die Junge Gruppe soll in der Kommission vertreten sein. Tatsächlich werden in der Erklärung der Koalitionsspitzen alle bisherigen Tabuthemen genannt - etwa die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die Stärkung der privaten Vorsorge, die Ausweitung der Gruppe der Beitragszahler sowie eine neue Berechnung des Rentenniveaus.
Das Problem in der Debatte ist aber das Misstrauen, das einige Unionsabgeordnete hegen: Sie vertrauen ihrer eigenen Führung und der SPD schlicht nicht, dass 2026 ein großer Wurf gelingt. "Die Wahrscheinlichkeit einer großen Rentenreform, die genau die Kosten unter Kontrolle bringen wird, auf die der Koalitionspartner jetzt besteht, ist gering", heißt es in einer von der Jungen Gruppe am Montag vorgelegten Erklärung.
Einige Ökonomen und Kommentatoren feuern die Junge Gruppe an, hart zu bleiben und notfalls das gesamte Rentenpaket samt Mütterrente zu kippen. Das erschwert der Jungen Gruppe eher, einem Kompromiss zuzustimmen - aus Angst, sie könnten ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, hat bereits öffentlich erklärt, dass er am Freitag beim "Nein" bleiben will. Dennoch ist die Zusatzerklärung der Weg, der die meisten kritischen Unionsabgeordneten zu einer Zustimmung bewegen dürfte.
Sollte es in dieser Woche keine Einigung mit der Jungen Gruppe geben, stehen die schwarz-roten Fraktionsführungen vor der Frage, ob sie pokern sollen und dennoch in eine Abstimmung gehen - oder das Votum verschieben. Eine Verschiebung haben aber Merz, sein Generalsekretär Carsten Linnemann und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger, abgelehnt. Eine Verschiebung löse kein Problem, betonen alle drei. Der Union drohe zudem, dass ihre Projekte im Rentenpaket auch nicht beschlossen würden - etwa die Aktivrente, die Frühstartrente und die Mütterrente. Denn das Rentenpaket spiegelt in seiner Gesamtheit einen Kompromiss wider.
Es wird eine namentliche Abstimmung geben, so dass für alle sichtbar wird, wer wie gestimmt hat. Das erhöht anders als bei geheimen Voten den Druck auf die jungen Abgeordneten.
Die Vertrauensfrage ist ein Mittel, mit dem ein Kanzler auch umstrittene Entscheidungen in den eigenen Reihen durchsetzen kann. Dabei wird eine Sachfrage mit der Machtfrage und dem Bestand der Koalition verknüpft. Merz musste in den vergangenen Wochen mehrfach die Frage beantworten, ob er bereit wäre, diesen Weg zu gehen - was er mit der Bemerkung wegwischte, dass es vorher zu einer Einigung komme. Aber auch die Jungen schrecken zurück. "Es wird nicht zu einer Vertrauensfrage kommen", sagte der Vorsitzende der Jungen Gruppe, Pascal Reddig. Man wolle die Koalition nicht stürzen. Eine Vertrauensfrage ist also nur eine Notlösung. Sie hätte nur den Vorteil, dass die Jungen für ein "Ja" darauf verweisen könnten, dass sie den Kanzler und die Regierung retten wollten.
Sollte der Gesetzentwurf und damit das gesamte Rentenpaket scheitern, droht eine echte Regierungskrise. Die SPD kritisierte bereits bei der Richterwahl vor der Sommerpause mangelnde Verlässlichkeit von CDU/CSU. SPD-Co-Chefin Bärbel Bas sprach jüngst von einer Gefahr für den Fortbestand der Koalition, und Außenminister Johann Wadephul warnte im CDU-Bundesvorstand am Montag nach Teilnehmerangaben davor, angesichts der Eskalation in der Ukraine eine Regierungskrise in Berlin auszulösen.
Wenn Merz, Söder und Unionsfraktionschef Jens Spahn den Gesetzentwurf nicht gegen die Aufständischen in den eigenen Reihen durchsetzen können, wäre ihre Autorität auf jeden Fall schwer beschädigt. Die Zustimmung zur schwarz-roten Koalition in der Bevölkerung dürfte noch weiter sinken.
(Redigiert von Thomas Seythal)