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05.12.2025 /09:00:00
ANALYSE-"Make or Break" ? Kann Bayer 2026 das Monsanto-Trauma überwinden?

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Showdown im Glyphosat-Streit rückt näher



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Pharmasparte als Hoffnungsträger, doch Pipeline mit Fragezeichen



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Investoren fordern klaren "Plan B" und mehr Transparenz
 
- von Patricia Weiss
Frankfurt, 05. Dez (Reuters) - Für Bayer <BAYGn.DE> und
seinen Vorstandschef Bill Anderson steht ein Schicksalsjahr
bevor. "Die Monsanto-Übernahme hat für Bayer zu einer verlorenen
Dekade geführt", urteilt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und
Corporate Governance bei Deka Investment. Nach Jahren des
Stillstands im Milliarden-Rechtsstreit um den Unkrautvernichter
Glyphosat, der Aktienkurs und Vertrauen ruinierte, verdichten
sich nun die Anzeichen, dass 2026 die Weichen neu gestellt
werden könnten. Eine überraschende Unterstützung der
US-Regierung in dem Rechtsstreit nährt die Hoffnung auf einen
juristischen Befreiungsschlag. Anderson will die
Rechtsstreitigkeiten bis Ende 2026 signifikant eindämmen. Für
ihn wird das Jahr damit zu einer "Make-or-Break-Geschichte", wie
Speich sagt ? einem Jahr, das über Erfolg oder Misserfolg seiner
Amtszeit entscheidet.

Anfang Dezember sorgte ein Hoffnungsschimmer für Euphorie am Aktienmarkt: Der Generalanwalt der US-Regierung empfahl dem Supreme Court, die Berufung von Bayer im Glyphosat-Streit anzunehmen. Das Oberste Gericht der USA folgt in der Regel den Empfehlungen. "Die Entscheidung ist ein wichtiger Meilenstein für Bayer auf dem Weg, die Glyphosat-Risiken zu reduzieren", sagt Fondsmanager Markus Manns von Union Investment. Ob der Fall tatsächlich angenommen wird, soll bis Anfang Januar feststehen; ein Urteil könnte dann bis zum Sommer fallen. Sollte das Oberste Gericht feststellen, dass die Glyphosat-Zulassung durch die nationale Umweltbehörde EPA Klagen auf Ebene der Bundesstaaten ausschließt, wäre dem Großteil der rund 65.000 offenen Klagen die Grundlage entzogen. JP Morgan zufolge könnte dies die Rückstellungen um rund fünf Milliarden Euro reduzieren und dem Aktienkurs bis zu 20 Prozent Auftrieb geben.

Doch die Hoffnung ist fragil. Zwar legte die Aktie seit Jahresbeginn mehr als 75 Prozent zu, doch Anderson habe sich damit nur "Zeit erkauft", sagt Speich. Der Börsenwert bleibt ein Mahnmal: Er schrumpfte von einst 120 Milliarden Euro im Jahr 2015 ? ein Jahr vor Bekanntgabe der Monsanto-Übernahme ? auf heute rund 32 Milliarden. Fast doppelt soviel gab Bayer einst für den Glyphosat-Entwickler aus. Mit dem Zukauf holte sich Bayer eine Klagewelle wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des Herbizids ins Haus, die das Unternehmen bis heute dominiert. Selbst die Debatte über eine mögliche Abspaltung der Sparte mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten ist vorerst verstummt. "Strukturelle Veränderungen sehen wir nicht, das ist auch nicht zwingend notwendig im jetzigen Umfeld", sagt Speich. Manns erwartet jedoch eine Wiederaufnahme der Diskussion 2026/27.

WENN DER PLAN A WACKELT

Alle Augen richten sich nun auf die Frage: Was passiert, wenn der Supreme Court den Fall zwar annimmt, aber nicht im Sinne von Bayer urteilt? "Das wäre eine sehr unglückliche Situation, da nicht abzusehen ist, wie Bayer die Klagewelle beenden kann", sagt Manns. Eine Lösung würde dann "wesentlich länger dauern und teurer werden", prognostiziert Speich. Laut Manns blieben dann Optionen wie ein Verkaufsstopp von Glyphosat, gesetzliche Initiativen zur Begrenzung der Produkthaftung, weitere Vergleiche bis hin zu einer begrenzten Insolvenz nach dem "Texas-2 Step"-Verfahren.

Investoren erwarten einen klaren Plan B. Ein Top-15-Anteilseigner mahnt, er erwarte mehr als einen "aufgewärmten Fünf-Punkte-Plan von vor fünf Jahren". Dieser von Andersons Vorgänger Werner Baumann vorgestellte Maßnahmenkatalog sollte den Umgang mit den Rechtsstreitigkeiten regeln, blieb jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Der Investor verweist darauf, dass die Aktionäre bereits Opfer wie die Dividendenkürzung getragen hätten ? nun dürfe es keine Scheinlösungen mehr geben. Fondsmanager Manns fordert zudem konkrete mittelfristige Umsatz- und Margenziele. "Investoren benötigen mehr Klarheit über die Wachstumsaussichten."

Der Rechtsstreit ist jedoch nur eine der Baustellen, die Anderson bei seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren vorfand. Auch die Pharmasparte galt mit alternden Blockbustern und drohenden Patentabläufen lange als Sorgenkind. Der Vorstand sieht hier jedoch die Wende geschafft. Neue Medikamente und die Wiederbelebung des einstigen Hoffnungsträgers Asundexian geben Auftrieb. Viele hatten den Gerinnungshemmer nach einem Studienflop vor zwei Jahren bereits abgeschrieben, er konnte nun aber in einer anderen Indikation punkten und avanciert damit wieder zum Blockbuster-Kandidaten.

Für Fondsmanager Manns hat sich die Pharmasparte zum Hoffnungsträger entwickelt. Anderson selbst räumte jedoch jüngst ein: "Wir hätten gerne mehr Produkte in der späten Entwicklungsphase." Diese Lücke sieht auch Speich: "Es gibt weiterhin Fragezeichen beim Innovationspotenzial der Pharmasparte." Zwar erhielt Bayer mit Lynkuet gegen Hitzewallungen vor Kurzem eine wichtige Zulassung, doch die Kostenübernahme der Kassen bleibt laut Manns ein Unsicherheitsfaktor.

Für den Texaner Anderson geht es 2026 um alles. Gelingt der juristische Durchbruch, könnte er als der Retter in die Konzerngeschichte eingehen, der das Monsanto-Trauma beendete. Ein Sieg würde für Bayer zwar nicht alle Glyphosat-Klagen sofort aus der Welt schaffen, die Risiken aber deutlich reduzieren, schätzt Manns. Scheitert Bayer jedoch vor dem Supreme Court, dürfte der Druck auf den Konzern massiv steigen. Dann, warnt Speich, "wird man bei Bayer ganz andere Fragen stellen müssen".

(Redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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