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Ganz bewusst reisen vier Europäer gemeinsam nach Kiew |
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Demonstration der Einheit schon im Zug |
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Besuch ist auch Signal an Trump |
- von Andreas Rinke |
Kiew, 10. Mai (Reuters) - Als Keir Starmer sich endlich |
durch den langen Zug gekämpft hatte, erntet er Gelächter von |
Friedrich Merz und Emmanuel Macron. "Du bist durch mein |
Badezimmer gekommen", scherzt Merz im Nachtzug, mit dem die drei |
in einem Hochsicherheits-Einsatz der Nacht zu Samstag nach Kiew |
gefahren sind. Denn der britische Premierminister, der im |
hinteren Zugteil logiert, musste sich im wahrsten Sinne des |
Wortes durch viele Waggons nach vorne zu dem Macron-Waggon |
kämpfen ? und auch das eher plüschig eingerichtete Schlafabteil |
passieren, das Merz zugeteilt worden war. "Ich bin also durch |
Deutschland gekommen ? um es nach Frankreich zu schaffen", |
erwidert Starmer schlagfertig. |
Die gute Stimmung unter den drei kann nicht über den ernsten Anlass der Reise hinwegtäuschen. Schon am Flughafen im ostpolnischen Rzeszow hatten sich die drei mit Polens Ministerpräsident Donald Tusk getroffen, der separat anreiste. Ganz bewusst treten sie als europäisches Quartett in Kiew auf - und gedenken zu Beginn zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am zentralen Maidan-Platz der Opfer der russischen Angriffe. Zwar haben seit Kriegsbeginn im Februar 2022 schon viele Politiker die nächtliche Zug-Tour in die ukrainische Hauptstadt unternommen: Doch dass die Staats- und Regierungschefs der großen europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen gemeinsam auftreten, ist ein bewusstes Signal - an Moskau und zugleich an Washington.
Selenskyj hat derzeit jede Hilfe bitter nötig. Denn in dem seit 2022 tobenden russischen Angriffskrieg hatten die Truppen Moskaus seit einigen Wochen leichte Geländegewinne in der Ukraine erzielen können. Seit dem Amtsantritt von Trump schien aber auch die Front seiner westlichen Unterstützer zu bröckeln. Trump hofierte plötzlich Russland, nicht die Ukraine.
Für den neuen Kanzler Merz ist es am vierten Tag seiner Amtszeit ein Ausrufezeichen für Entschlossenheit der Ukraine-Unterstützung. Er verspricht eine Steigerung der deutschen Finanzhilfen - wofür er prompt Lob von Selenskyj kassiert. Die vertraute Art und Weise, wie auch Merz, Starmer, Tusk und Macron sich begrüßen, zeigt, dass sich der CDU-Chef schon lange vor seinem Amtsantritt um eine enge Abstimmung bemühte. In der Pressekonferenz zeigt er Emotionen, als er sagt, dass er "ein Stück weit bewegt" ist, als deutscher Kanzler 80 Jahre hier in Kiew nach Kriegsende neben den Kollegen stehen zu dürfen.
Mit dem Besuch ist damit auch das Zeichen gesetzt, dass es in Europa künftig eine neue Allianz der E3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und Polen geben soll - gerade weil US-Präsident Donald Trump ein neues Gefühl der Unsicherheit und des Wankelmuts in die transatlantischen Beziehungen gebracht hat. Also hagelt es in Kiew Umarmungen und gegenseitiges Schulterklopfen. Das Quartett will Bilder produzieren und angesichts der medialen Aufmerksamkeit für die amerikanisch-russischen Gespräche auch zeigen: "Wir sind nicht abgehängt, ohne uns geht nichts." Mit einer Mischung aus sichtlicher Zufriedenheit und Erleichterung verweisen sowohl Merz als auch Macron darauf, dass man Trump nach den Gesprächen noch von Kiew aus informiert und Zustimmung von ihm erhalten habe.
Denn auch der US-Präsident scheine langsam zu verstehen, dass seine vollmundigen Ankündigungen eines schnellen Friedens keine Ergebnisse bringen, heißt es von einem EU-Diplomaten. Trump hatte sich bereits in einem Telefonat mit Merz unzufrieden gezeigt, dass sein russischer Kollege Wladimir Putin partout nicht auf seine Avancen eingehen will. Das wollen die Europäer nutzen.
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